(Artemis / Chandar / Ischtar / Isis / Kali / Luna / Magna Mater / Maja / Rhea / Selene / Shakti / Soma / Tara / Yin)
Inschrift am Tempel der Mondgöttin Isis
Über den Mond, das der Erde nächste Gestirn, Hauptsymbol
der Yin-Energie, Thema unzählig vieler Märchen und Mythen aller Kulturen, gäbe
es - im wahrsten Sinne des Wortes - unendlich viel zu berichten, denn er (oder
besser sie) ist Energie, die Zeit und Raum überwindet. Obwohl selbst formlos,
kann er doch Millionen von Gesichtern annehmen. Er ist die Maja oder
illusionserzeugende Energie, die die magische Kraft besitzt, in jedwede
bildhafte Form zu metamorphieren. Identisch mit der mystischen Soma- oder
Nektarenergie, dem Unsterblichkeitselixier der Götter und Dämonen, dem
legendären Zaubertrank, verleiht er übernatürliche Kräfte. Der Mondbereich
unterliegt einer eigenen paralogischen Gesetzmäßigkeit und entzieht sich immer
wieder aufs neue den Zugriffen des analysierenden Denkens. Jedem Rätsel, das er
aufgibt, folgt sogleich ein neues: Er repräsentiert das Geheimnisvolle an sich
und gleicht einer Sphinx ohne Anfang oder Ende.
Jenseits polarer Denkinterpretationen ist die Seele (Mond) eine der scheinbar widersprüchlichsten Energien. Sie ist zugleich göttlich wie dämonisch, hell und rein wie dunkel und selbstzerstörerisch, selbstlos wie leidenschaftlich, mitfühlend wie hassend, befreiend wie zwingend, fruchtbar wie todbringend, gebärend wie verschlingend. Sie ist gleichzeitig Medizin und Gift. Sie lässt sich nur erfassen, wenn man sie von innen her begreift oder sich ihrer magischen Faszination entzieht und sie von außen her beschreibt (Vorgehensweise von Saturn oder Ziegenfisch).
Religion, Philosophie, Wissenschaft, Poesie und Kunst - quasi alles menschliche Streben nach Erkenntnis - stellt einen Versuch dar, das rätselhafte Sein, die numinose Welt des Yin- oder Mondbereichs zu erhellen, zu deuten oder zu erforschen. All diese Annäherungs- oder Findungsversuche jedoch relativieren sich immer wieder durch neue Erklärungen, Theorien und Entdeckungen. Es ist ein Spiel, das sich in alle Unendlichkeit fortsetzen wird, eine energetische Durchdringung des Yang mit dem Yin, den lichten Höhen des Bewusstseins mit den verborgenen Tiefen der Weltenseele.
Exoterisch gesehen entspricht der Mondbereich der Natur, der Kollektivpsyche, dem gesamten Sein und seiner hintergründigen Wirklichkeit. Da die Sprache des Mondbereichs aus gefühlsmäßig besetzten Bildern besteht (Sprache des Traums, mystischer und magischer Symbole der Archetypen), reagiert sie auch auf Eindrücke der äußeren Realität in Korrelation zu den inneren, instinktmäßig angelegten Urbildern. Die Reaktion auf das Wechselspiel äußerer und innerer Bilder drückt sich in Stimmungen und Launen aus, deren eigentliche Ursache meist schwer zu ergründen ist (Arbeitsbereich der Psychoanalyse, Psychologie oder Esoterik). Dies liegt z.T. auch daran, dass wir den Zugang zum magischen Weltbild der lunaren Energie verloren haben. Diese Weltbilder der Naturreligionen, des Schamanismus oder des Tantra gehen davon aus, dass Wirklichkeit nur Gaukelspiel, Illusion oder magischer Zauber sei, täuschender Ausdruck numinoser Bildekräfte. Jeder Gegenstand, jeder Ausschnitt der Natur gilt ihnen als beseelt oder als verborgener Wohnsitz elementarer Geister, Dämonen oder Gottheiten. Einfühlsame Reaktionen auf ein derartiges Weltbild finden wir in der frühkindlichen Entwicklungsphase, bei einfachen und naturverbundenen Menschen, bei sensitiv oder medial Veranlagten, Personen mit meditativen oder psychedelischen Erfahrungen, aber auch (unverarbeitet) bei bestimmten Arten von Geisteserkrankungen. Künstlerisch oder religiös interpretiert ist das lunare Weltbild sozusagen gesellschaftsfähig und Ausdruck höchster Bewunderung (z.B. Goethes »Faust II«, die »Göttliche Komödie« von Dante, Kindermärchen, Surrealismus, Dadaismus, Wiener Schule [Ernst Fuchs], Tantra-Kunst Asiens, christlich gefärbte Heilige und Mystiker des Mittelalters etc.). Außerhalb dieses elitären Rahmens jedoch würde es die Normen einer im saturnalen Sinne aufgeklärten und verfestigten Gesellschaftsstruktur beunruhigen, die Werte und Grenzen der Vernunft sprengen und die Welt in ein gefühlsmäßiges und verwirrendes Chaos führen.
Die magische Handlung, das Ritual beruht auf einem geistigen Vorgang, bei dem die Seele kooperativ die gefühlsmäßige Komponente, die tiefe Ergriffenheit von Vorstellungsbildern oder gefühlsmäßig besetzten Einbildungen beisteuert. Die Vorstellungsgabe, Fantasie und tiefe Berührtheit (rein subjektive Eigenschaften), die Kraft und Intensität der Aufladung der seelischen Bilder steht in direkter Wechselwirkung mit der Intensität und somit der Wirksamkeit magischer Praxis. Sowohl auf- als auch abwertend kann man also sagen: Magie beruht auf Einbildung. Von dieser Definition ausgehend können wir den Begriff Magie auf den Alltag ausweiten. In diesem Sinne sind wir alle Hobbymagier, ob wir dies nun wissen oder nicht. Angewandte Magie ist also nicht eine besondere Disziplin von Okkultismus oder Religion, sondern ein psychologischer Ablauf, der erst dadurch einen besonderen Status erhält, dass er bewusst und zielgerichtet eingesetzt wird. Beim Aufeinanderprall bzw. beim Zusammenspiel von Vernunft und Seele (Saturn und Mond) werden, zeitlich verzögert, die mondhaften Energien in ihrem Bestreben nach endloser Auswucherung durch die Gesetze von Zeit und Raum in ihrem Wachstum gebremst. Ohne die hemmende Wirkung des Saturn würde sich die Seele zu einem Riesenkoloß, einem gefährlichen Polyp aufblähen, das Sein erschiene uns als eine sich ständig wandelnde Fata Morgana, der Mensch wäre ein Spielball von Ängsten, Instinkten, magischen Verstrickungen. Er hätte keinen Halt, keinen Mittelpunkt, alles würde gleichzeitig passieren, das Sein entspräche einem chaotischen Alptraum, einem Inferno ungezügelter göttlicher oder dämonischer Machtausweitung, wie es in den Ursprungsmythologien vieler Kulturen geschildert wird.
Auf das innere Wesen des Menschen übertragen, käme dieser Zustand der sogenannten »psychischen Inflation« gleich, bei der die Seele mit ihren Gefühlen, Bildern und magischen Zwangsvorstellungen vom Individuum Besitz ergreift, wobei es nicht imstande ist, diese Unzahl von Impulsen zu ordnen, als seine eigenen Seeleninhalte zu erkennen und sie sinnvoll zu handhaben. Die Annäherung an den seelischen Bereich sollte also langsam und unter Einbeziehung einer höheren Form von Vernunft stattfinden. Der Sprung ins Wasser erfordert behutsame und schrittweise Vorbereitungen, bei denen die Ängste gegenüber den unbekannten seelischen Archetypen abgebaut werden müssen. Ein Schlüsselweg hierfür ist eine Kombination von astroenergetischen Studien, philosophischen Motivklärungen und meditativen oder tantrischen Übungen. Nur eine derartig ganzheitliche Durchdringung der seelischen Basis ermöglicht Angstfreiheit, Klarheit und Erleuchtung. Gelassenheit, Selbstvertrauen, spontane Hilfsbereitschaft, Weisheit, Raum-, Form- und zeitliche Ungebundenheit und größtes weißmagisches Energiepotential sollen sich (nach buddhistischer Vorstellung) als Früchte höchster Vervollkommnung einstellen. In der indotibetischen Praxis gibt es einen Weg des sogenannten weiblichen »Mutter-Tantras«, auf dem sich der Übende mit bestimmten Seelenarchetypen wie Dakinis, Hexen oder Göttinnen während der Meditation identifiziert, um sich an deren Weisheitsenergie anzuschließen, deren magische Initiation zu erhalten und somit stufenweise mit den eigenen Seeleninhalten vertraut zu werden und zu verschmelzen. Auf diesem yinhaften Weg zur Erleuchtung gilt z.B. die Tantra-Praxis über die Mondgöttin »Weiße Tara« als besonders erfolgverheißend. Es heißt, wer das Bewusstsein der Weißen Tara erlangt habe, sei frei von jedweder Furcht, erkenne die Leerheit oder Illusionshaftigkeit aller Phänomene (Realität wird wie ein Traum erlebt), sei im Zustand eines vollkommenen inneren Gleichgewichts, losgelöst von Konzepten und Erwartungen und im Besitz hilfreicher magischer Kräfte. Eine weitere Eigenschaft dieses höchsten Mondbewusstseins ist Mitempfinden und Hilfsbereitschaft. »In der buddhistischen Lehre ist der Mond am Himmel das Symbol für Mitgefühl, dessen Bild sich in hundert mit Wasser gefüllten Schüsseln spiegelt. Der Mond fordert nicht: »Wenn du dich mir öffnest, werde ich dir einen Gefallen tun und auf dich scheinen« Der Mond scheint einfach. Es geht darum, nicht jemandem einen Gefallen zu erweisen oder ihn glücklich machen zu wollen. Es gibt kein Publikum, kein Ich oder Du. Es geht um die offene Gabe, völlige Großzügigkeit ohne die relativen Begriffe von Geben und Empfangen. Das ist die wesentliche Offenheit des Mitgefühls: sich öffnen ohne Forderung.« (Tschögyam Trungpa)

Die Weiße Tara, tibetische Göttin des Mondes und höchster Erleuchtung, symbolisiert die Mond-Energie in ihrem reinen und klaren Aspekt des Vollmondes.
Um den Mondbereich zu aktivieren, bedarf es Situationen, die einen tiefen Eindruck hinterlassen, gefühlsmäßig berühren, ergreifen, atmosphärisch wirken, mütterliche Instinkte mobilisieren oder einen magischen Zauber ausüben. Der Mond hat also nicht nur eine passive, aufnehmende, empfangende, empfindende oder bewahrende Funktion, wie sie in vielen astrologischen Interpretationen beschrieben wird, sondern stellt eine Energie dar, die eine Richtung (Ausweitung), ein Bewusstsein (verborgenes magisches Wissen, Instinkte), Denkmechanismen (bildhaftes Denken, instinkthaftes Erfassen, paralogische Assoziationen und Reaktionen) sowie innere und äußere Aktivität bewirkt. Wenn wir über das Yin und seine Hauptanalogie, den Mond, sprechen, vergessen wir viel zu häufig, dass wir es hier mit einem unermeßlichen Kraftpotential zu tun haben, das in seiner Mächtigkeit dem Yang-Bereich in nichts nachsteht, auch wenn die energetischen Prozesse des Yin stiller und verborgener ablaufen, nicht mit soviel Glanz und Gloria und exaltierter Offensichtlichkeit.
Denken wir z.B. nur daran, dass der Mond den 28-tägigen weiblichen Biorhythmus bestimmt, den periodischen Zyklus der Frau, das Pflanzenwachstum, die Gezeiten und das Wetter beeinflusst, bestimmte Gemütserkrankungen (Vollmondempfindlichkeit, Mondsüchtigkeit) hervorruft u.v.m.
Das Yin in seiner selbstlosen und sozialen Orientierung
identifiziert sich nicht mit seinem Denken, Fühlen und Handeln und stellt sich
somit nicht in den Mittelpunkt, wie es das Yang tut. Da dieses Naturell von
unserer yangbetonten Gesellschaft als minderwertig angesehen wird, führte dies
zur Unterdrückung der Frau, zur Ächtung magischen Wissens, ritueller Praktiken
und esoterischer Weltbilder (Hexenverbrennungen, Ablehnung der
Astrologie, Verurteilung sogenannter psychedelischer Erfahrungen, Verbannung
der Metaphysik in die Bereiche Kunst, Philosophie oder Religion), zur
Verdrängung von Gefühlen, Ahnungen oder Instinkten, zur Vorherrschaft des
Wissens gegenüber der Weisheit, zu Brutalität anstatt zu Hilfsbereitschaft, zu
Umweltzerstörung anstatt zu Naturliebe. Glücklicherweise ist jedoch mit Beginn
des Wassermannzeitalters ein vorsichtiger Prozess der Rehabilitierung des Yin
in Gang gekommen, man beginnt, die Seele in Form der Psychologie und
Psychoanalyse zu deuten, d.h. ihr ein Gewicht zu geben, Frauen beginnen sich
ihrer Unterdrückung bewusst zu werden, Männer begeben sich auf die Suche nach
ihrer eigenen Weiblichkeit. Astrologie, Spiritualität, Philosophie oder Tantra
gewinnen an Bedeutung. Es wächst eine größere Toleranz gegenüber Außenseitern,
das allgemeine Interesse richtet sich auf Grenzfragen zwischen Wissenschaft und
Metaphysik, Tod und Leben. Der Wassermann mit seinen beiden Amphoren, die den
Yin- und Yang-Energien entsprechen und die er über der Welt ausgießt, wird sich
bemühen, eine gleichstarke Gewichtung und gegenseitige Durchdringung beider
Urenergien zu ermöglichen.

Der Mond als Gottheit archaischen Ursprungs und des Pflanzenwachstums


Hans Hinrich Taegers Buch "Astro-Energetik", erstmals erschienen im Jahr 1982, unternimmt den Versuch, die Bereiche altehrwürdiger
Astrologie und des traditionellen buddhistischen Weltbildes unter der neuen Bezeichnung »spirituelle Astro-Energetik« zusammenzuführen.