Hans Hinrich Taeger: Astro-Energetik

ZIEGENFISCH

©Astrodienst AG 2018

Man lebt wie ein glücklicher Fels inmitten des Meeres; man steht unverrückbar fest.
Henry Miller

Ähnlich dem Kentaur des Schütze-Archetyps, halb Pferd halb Mensch, umschreibt das Symbol des Ziegenfischs (heute verflachenderweise Steinbock genannt) einen inneren Entwicklungsprozess, eine Metapher menschlicher respektive kosmischer Problematik. Natürlich könnten wir auch andere Vorstellungsbilder für die Ziegenfisch-Energetik aufbauen, wie z. B.: der oben zitierte Felsen im Wasser, der Diamant, der alchimistische Läuterungsofen, der Eremit in der Höhle oder eben auch der auf hohen Gipfeln verweilende Steinbock. All diesen Bildern gemeinsam ist die Tendenz zur Konzentrierung, Absonderung, Reduzierung, Klärung, ernsthaften Durchdringung, Verzicht, Widerstand, Befreiung von vegetativen oder natürlichen Wachstumszwängen. Dies heißt, es wird ein Weg der »Ent-Bindung« umschrieben, der dem krebsarchetypischen Weg der Rück-Bindung diametral entgegensteht. Das Bild des Ziegenfischs (ein Wesen mit Fischeschwanz und Ziegenoberkörper) umschreibt nun genauer, von was sich diese Energie entbinden möchte, nämlich, analog zum Kentaur, symbolisiert der obere Teil des Fabelwesens die Entwicklungsrichtung und der untere Teil (Fischeschwanz) diejenige Wesenheit, die transformiert und damit überwunden werden will.

Der Fisch bedeutet in diesem Zusammenhang: mystischer, magischer und vorgeschichtlicher Urgrund und damit verbunden auch die verborgenen Ursachen wiedergeburtlicher Bedingtheit. Er umschreibt den dunklen Bereich des »Wo komme ich her?«, die individuelle Verflochtenheit in mythologisches und archaisches Geschehen. Er symbolisiert das Yin, die Seele, das Urmutterhafte, die Wirkebene Neptuns, Plutos und des Mondes. Da sich alle Mythologien auf die Vorstellung eines Urozeans und somit auf das Wasserelement zurückführen lassen, können wir verallgemeinernd sagen, dass der Fischeschwanz ein abgekürztes Symbol für das Sein überhaupt beschreibt.

Die Ziege wiederum (auch der Steinbock gehört zu den Ziegen) gehört zu denjenigen Säugetieren, denen es gelungen ist, sich in den unwirtlichen und kalten Höhenregionen oder vegetationsarmen Wüstenlandschaften in großer Anspruchslosigkeit und Einsamkeit einen Lebensraum zu schaffen. Als Tier der Berge hat es sich, symbolisch gesprochen, am weitesten den fruchtbaren Lebensräumen entzogen und betrachtet zusammen mit dem Adler (Jupiter-Symbol) den Lebensozean aus einer höheren, einsameren, freieren und emotional unverhafteteren Perspektive. Der Berg, den die Ziege so mühelos meistert, ist ein uraltes Erkenntnissymbol (Berg der Erkenntnis, Stufenleiter der Erleuchtung). Der Vorgang seiner Bezwingung umschreibt gleichzeitig die Eigenschaften des Ziegenfisch-Themas: durch körperliche und geistige Arbeit müssen Widerstände überwunden werden (einen Berg Arbeit vor sich haben); es bedarf der Geduld, Planung und Ausdauer; man kann keinen unnötigen Ballast mitschleppen, d.h., man muss sein Gepäck vorher auf das Nötigste reduzieren; man ist auf seiner einsamen Wanderung weitgehend von der Hilfe anderer Menschen abgeschnitten; es bedarf höchster Konzentration, um nicht abzustürzen; man muss sich auf sich selbst verlassen können (Eigenverantwortung); die Motivation muss gewissenhafter Ehrgeiz sein; man braucht einen praktischen Verstand und einen gut funktionierenden, d.h. verlässlichen Instinkt, um eventuelle Gefahren meistern zu können; die eigene Energie muss sinnvoll eingeteilt werden; man muss sich vor unnötigen Risiken absichern und ein hohes Maß an Selbstdisziplin, Ruhe, Besonnenheit, Kalkül und Umsicht entwickeln, um das gesetzte Ziel gefahrenlos zu verwirklichen. Jeder Schritt höher entzieht uns ein wenig mehr dem Jahrmarkt und Gaukelspiel des Lebens und bringt uns einen Schritt näher an die Wahrheit der Eigenverantwortlichkeit und scheinbaren Einsamkeit des Mikrokosmos Mensch, der allein geboren wird und allein stirbt.

Sich auf neue Abhängigkeiten einzulassen wird jetzt als Angst und mangelnde Selbsterkenntnis entlarvt, d.h., man erfährt, dass verantwortliche Erkenntnis in einen glückhaften Zustand mündet, der der Wahrheit des menschlichen Seins aufs tiefste entspricht. In die weit unter einem liegenden Täler zurückschauend, erkennt man seine eigene Vergangenheit, größere Zusammenhänge und Funktionen seines individuellen Lebensplans, fühlt sich dem magischen Zauber der Lebensvielfalt enthoben und entdeckt über sich die Unendlichkeit des Raums, erspürt das Vorgefühl der Freiheit und steht doch noch mit beiden Beinen auf der Erde und weiß, dass man den Berg wieder hinuntersteigen muss, um die neu gewonnenen Erkenntnisse am Leben zu schleifen und zu polieren, sie ihrer härtesten Bewährungsprobe auszusetzen. Der Saturn- und Ziegenfisch-Archetyp weiß genau, dass Erkenntnis an und für sich noch gar nichts bedeutet. Sie muss überprüft und innerlich bewahrt werden, muss dem Leben standhalten wie der Fels in der Brandung, muss zur Vewirklichung, d.h. zur Überwindung der Wirklichkeit führen. Wie viele andere Tierkreis-Archetypen hat also auch der Ziegenfisch eine paradoxe Vorgehensweise: er arbeitet besonders intensiv an und in der Wirklichkeit, aber nicht weil ihn diese fasziniert, sondern weil er weiß, dass dies die einzige Möglichkeit ist, sich ihr auf Dauer zu entziehen. Der Ziegenfisch ist also entgegen vielen landläufigen Meinungen keine materialistische, sondern eine Materie-überwindende Energie, ein Zeichen höherer Psychologie und Esoterik, von der Ursache-Wirkung-Weisheit getragen, dass die immense Gewalt der magischen Illusionskräfte (Wasser-Element) nur durch ein noch stärkeres energetisches Erkenntnisbemühen und zähes Überwinden von Widerständen brechen kann.

Krebs und Ziegenfisch repräsentieren also das Wechselspiel von Zauber und Gegenzauber, Illusion und Desillusion, Weichheit und Härte, Täuschung und Erkenntnis, Vegetation und Kristallisation, Organik und »Anorganik«. Hierbei ist es wichtig zu verstehen, dass Ziegenfisch und Krebs bzw. deren Regenten Saturn und Mond nicht gegeneinander, sondern miteinander arbeiten. Mond und Saturn sind mythologisch miteinander verheiratet. Die Mond-Krebs-Energie entwickelt ihre magischen Reize, um auf die in ihr verborgenen Schätze aufmerksam zu machen, die erkannt und gehoben werden wollen, deren Wesen jedoch so brisant ist, dass ein ungewichtetes und unverarbeitetes Erkennen zur psychischen Inflation, zur Geistesgestörtheit führen kann. Die Täuschungs- und Verdunklungsmanöver des Krebses aktivieren die Kräfte des Ziegenfisches in ihrer Suche nach Klarheit und Transparenz und lassen ihn behutsam und verantwortungsbewusst mit den dem Krebsbereich abgerungenen Erkenntnissen umgehen. Der Ziegenfisch läutert und verdichtet also mit einem hohen Maß an Ethik (die in seiner heimlichen Liebe zum Wasserelement wurzelt) das Wesen des Krebses, d.h. sein eigenes Wesen, das durch den Fischeschwanz seine wasserelementsbezogene Abstammung verrät. Er nimmt sozusagen Abstand von sich selbst, um sich dadurch in konzentrierter Form wiederzubegegnen.

Der Ziegenfisch ist also kein Feind der Seele, sondern ihr Erforscher und Nutzbarmacher, er ist Seele in kristallisierter Form, Befreier von sich selbst. In der Praxis haben ziegenfischbetonte Menschen keinen leichten Stand in der Gesellschaft. Ihrer Intention nach sind sie, ähnlich wie Krebsbetonte, soziale und hilfsbereite Menschen, die jedoch in ihrem Wunsch zu helfen auf Ablehnung und Missverständnis stoßen. Wer möchte schon aus seinen Träumen und Illusionen gerissen werden, wer vermag das helle Licht unerbittlicher Klarheit zu ertragen, wer möchte sich über seine dunklen magischen Spiele bewusst werden, wer möchte wirklich von seinen masochistischen oder sadistischen Leidzuständen befreit werden, wer möchte vernünftig und ernsthaft sein, wer möchte auf etwas verzichten, wer möchte die Tragweite seines Denkens und Handelns erkennen - wer möchte sich selbst begegnen?

Jeder Mensch weiß, dass dieser Prozess der Klärung und Härtung eigentlich notwendig wäre, und erfindet doch ein Leben lang Selbsttäuschungen und Ausflüchte, entwickelt eine enorme Alibifantasie und entzieht sich damit immer wieder aufs neue der Aufforderung zur Selbstverwirklichung. Niemand möchte die Mühsal der großen Bergbesteigung und entsagenden Befreiung auf sich nehmen, keiner möchte die Unannehmlichkeiten der Eigenverantwortlichkeit wahrnehmen, sondern überträgt diese lieber auf Vater, Mutter, Familie, Partner, Autorität, Milieu, Zeitgeist, Staat, Welt und - wenn auch das alles nicht mehr reicht - auf einen numinosen Gott. Er sucht niemals die Ursachen dort, wo sie zu finden sind, nämlich in sich selbst. All das, was ihn zum Ziegenfisch-Thema und dessen Erkenntnisweg führen könnte, entspricht nicht den gesellschaftlichen Normen. Nirgendwo wird die positive Entfaltungsmöglichkeit durch Einsamkeit und Isolation propagiert. Einsamkeit ist eine Krankheit. Niemand weist einen darauf hin, dass Gefühle Leid und Illusion erzeugen. Gefühle sind Reichtum. Klarheit, d.h., reduziertes Gefühlsleben wird als Gefühlskälte, ja als Krankheit empfunden. Überall wird stillschweigend vertuscht, dass Reichtum materielle Abhängigkeit und Belastung ist.

Jamsthaler, Viatorium Spagyricum (1625)

Meditation, Askese, Konzentration und Kristallisation: Eigenschaften des hochentwickelten Ziegenfisch-Archetyps.

Menschen, die diesen Dingen entsagen, gelten als dumm oder als belächelte Aussteiger. Alle Menschen suchen nach rauschhafter Lebensfaszination. Wer vom Tod spricht, bricht Tabus. Alle Welt betäubt sich durch äußere Verpflichtungen. Wer Selbstwertgefühl hat, gilt als Außenseiter. Alle Welt sucht nach Befreiung, indem sie neue Bindungen eingeht. Wer Bindungen abschneidet, gilt als gesellschaftsfeindlich. - Kurzum, dort, wo der Ziegenfisch seine erkenntnisphilosophische Weisheit helfend zur Verfügung stellen könnte, wird er von der Gesellschaft gemieden und ins soziale Abseits gedrängt. Nur in Politik, Beruf und Wirtschaft werden sein hohes Verantwortungsbewusstsein und sein kühler Verstand geschätzt. Sein sensibles, introvertiertes und verfeinertes inneres Wesen muss vor der Umwelt verborgen werden, um das Wachsen des inneren Kristalls nicht zu gefährden. Hierdurch kann der Ziegenfisch in einen Konflikt zwischen äußerer und innerer Verantwortung geraten, die in Extremen wie ehrgeizige Arbeitswut oder Weltabkehr und Pessimismus gipfeln kann. Um bei unserem Bild der Bergbesteigung zu bleiben, wäre es für ziegenfischbetonte Menschen gut, wenn sie ihr Leben so planen könnten, dass Phasen der Isolation (Bergaufstieg - Selbstüberprüfung - ernsthafte Reflexion - konsequente Erkenntnisgewichtung) mit Phasen der sozialen Konfrontation (Bergabstieg - Realitätshärtung - praktische Erkenntnisverwirklichung) abwechseln. Diese Form der Reifung und Verwirklichung entspricht, wie schon im Saturn-Artikel erwähnt, der befreienden Vorgehensweise vieler weiser, erleuchteter, verantwortungsbewusster und nach Klarheit strebender Menschen. Sie sind im eigentlichen Sinne die Realisten dieser Welt, die die Chancen ihrer Lebensspanne im vollen Umfang erkannt und gewichtet haben. In diesem Sinne ist Weltabkehr keine Flucht, wie es die Gesellschaft suggerieren möchte, sondern eigentliche Geburt, Öffnung des kostbaren inneren Auges, behutsame Abnabelung vom mütterlichen Krebs-Archetypus, Beginn der Menschwerdung und Erkenntnis der Wirklichkeit. Bleibt zu hoffen, dass diese Einsicht nicht erst im fernen Ziegenfisch-Zeitalter (4000-6000 n.Chr.) zu einer Selbstverständlichkeit wird.

Astro Wiki
AstroWiki
Actuele planetaire posities
14-dec-2025, 08:00 UT/GMT
Zon2234'29"23s14
Maan208'38"10s41
Mercurius32'36"19s10
Venus1658'12"22s37
Mars2915'36"24s12
Jupiter2326'12"r21n36
Saturnus2523'31"3s58
Uranus2831'36"r19n38
Neptunus2922'37"1s29
Pluto213'12"23s20
Ware Knoop130'31"r6s41
Cheiron2246'23"r9n21
Uitleg van de symbolen
Horoscoop van dit moment
Hans Hinrich Taeger:
Astro-Energetik

Hans Hinrich Taegers Buch "Astro-Energetik", erstmals erschienen im Jahr 1982, unternimmt den Versuch, die Bereiche altehrwürdiger Astrologie und des traditionellen buddhistischen Weltbildes unter der neuen Bezeichnung »spirituelle Astro-Energetik« zusammenzuführen.

Hans Hinrich Taeger starb im Jahr 2013, und seine Werke drohten in Vergessenheit zu verschwinden. Thomas Siegfried, sein langjähriger Lebensgefährte und Erbe, hat Astrodienst im Jahr 2017 die Rechte zur Online-Publikation von Taegers Bücher erteilt. Wir haben den Inhalt der zweiten Ausgabe nun für diese Online-Ausgabe aufbereitet und freuen uns, dieses aussergewöhnliche Buch hier der astrologischen Community zur Verfügung stellen zu können.