Denn Personen sind Selbstheiten, und in gewisser Hinsicht war ich nun ein Nicht-Selbst und gewahrte dabei das Nicht-Selbst der Dinge meiner Umgebung, und gleichzeitig war ich es.
A. Huxley
Der Löwe-Archetyp als oppositioneller Mitgestalter des Wassermann-Zeitalters gehört zwar zu den geheimen Zeitidolen (wie die Jungfrau im Fische-Zeitalter), stößt aber gleichermaßen auf gesellschaftlichen Widerstand, Ablehnung und kritische Distanz. Alles, was der Löwe in den vergangenen Jahrtausenden als Attribute seiner Machtentfaltung zur Schau stellen konnte, wie Prunk, Glorifizierung individueller Werte, hierarchische Gliederung, Zentralismus, die Expansion des geistigen Autoritätsprinzips, Herrschsucht, Kultivierung des Ego oder Männlichkeitsbestimmung, findet im beginnenden Wassermann-Zeitalter oberflächlich betrachtet wenig Begeisterung, sondern erhält eine zeitgemäße Modifizierung. Das Wassermann-Zeitalter zeigt dem Löwen seine Grenzen in Form von sozialer und spiritueller Gleichberechtigung, Integration und Verantwortung.
Herrschte im Fische-Zeitalter ein Glaube an Autoritäten, so
muss der heutige löwebetonte Mensch seine Autorität immer wieder aufs neue unter
Beweis stellen. Er muss sich mehr und mehr daran gewöhnen, durch das Team oder
das Kollektiv auf seine Eigenschaften und Qualifikationen hin überprüft zu
werden. Privilegien sind unmodern: man will den Kanzler Fahrrad fahren oder segeln sehen und nicht im Rolls-Royce oder auf einer Luxusyacht.
Vorbei ist die Zeit der einsamen Entscheidungen. Das soziale Echo einer
persönlichen Idee entscheidet. Mit anderen Worten: Die persönliche Verantwortung
wird mehr und mehr durch die kollektive Verantwortung abgelöst oder wenigstens
durch sie verändert. Dies heißt natürlich nicht, dass Selbstverantwortung ganz
aus der Mode käme und wir zu computergesteuerten Marionetten degradiert würden,
wie es die Science-Fiction-Welle ängstlich vorausahnt, sondern dass sich individuelle
in kollektiver Verantwortung widerspiegelt und in Harmonie mit ihr steht.
Sowohl die Sonne als auch der Löwe sind sehr stark an der Entwicklung des persönlichen und des überpersönlichen Egos beteiligt, wobei sich das persönliche Ego im Laufe seiner Entwicklung schrittweise an die Entwicklung des höheren Egos annähert. Dieses höhere Ego mit seinen allgemeingültigen geistigen Werten symbolisiert im Wassermann-Zeitalter die kollektiven Grundlagen an und für sich oder - weiterentwickelt - die geistige Gesetzmäßigkeit des Universums. Insofern kann man sagen, dass der Wassermann eine Weiterentwicklung des Löwen ist und beide Energien in ihrem tieferen Verständnis identisch sind: man muss nur immer »Ich« durch »Wir« ersetzen. Da das persönliche Ich durch die Spiegelung im Kollektiv ständig Korrekturen ausgesetzt ist, verhilft der Wassermann-Archetyp dem Löwen zu einer beschleunigten Entwicklung des überpersönlichen geistigen Ichs, das dem Löwen latent innewohnt.
Der Löwe strebt in seinem verborgenen Wesen immer nach Identifikationen mit überindividuellen Werten, die er als Individuum vorbildhaft nach außen repräsentieren möchte. Er sehnt sich nach Toleranz und Gerechtigkeit und transformiert in seiner Entwicklung enge und subjektive Kriterien durch seine geistige Weiterentwicklung und Verarbeitung in immer weitflächigere und überindividuellere Grundvorstellungen und verpuppt sich dabei von einem machtmotivierten Egoisten in einen wertneutralen menschlichen Idealisten. Solch ein Tun verlangt Beherztheit und Mut, denn es gilt, sich nach und nach von Trieben, Instinkten und ängstlichem Wissen zu lösen, sich nicht von ihnen beherrschen zu lassen und deren Vormachtstellung - den zwölf Taten des Herakles gleich - zu besiegen, um ganz mit dem Herzen identisch zu werden, das nach allgemeiner Menschenliebe und geistiger Klarheit strebt und das sich nichts sehnlicher wünscht, als Mensch und All in geistiger Harmonie zu sehen.
Die Motive des Löwen sind veredelnder und idealisierender Natur. Sie basieren auf der Traumvision eines selbstverantworteten, befreiten und geistig erleuchteten Menschen unter Menschen und entsprechen eher paradiesischen Jenseitsvorstellungen, Atlantissehnsüchten und Bildern eines Goldenen Zeitalters als den Intentionen des persönlichen Egos wie: kleinlicher Machtkampf, Stolzblockiertheit oder Selbstverherrlichung.
Während des Prozesses der Individuation, d.h. der Entwicklung zum höheren geistigen Menschen, dem transformierten Löwe-Wassermann-Menschen, muss man zunächst alle Spielarten des persönlichen Egos durchlaufen, um durch dessen gesellschaftliche Konfrontation motiviert diese eigenen Werte in Frage zu stellen. Die ständige Umformulierung und Erweiterung der Werte muss immer durch das Individuum selbst getragen werden, um die neuen Erkenntnisse auch integrieren und persönlich vertreten zu können. Dies heißt mit anderen Worten, der Mensch wird nicht sozial durch kommunistische Propaganda und sozialistisches Dogma, sondern - langfristig - nur durch eigene Einsicht, Ausdehnung der Verantwortung, Entwicklung menschlicher Qualitäten und langsame Abnabelung vom persönlichen Ego.
Der Löwe als eine aufbauende, konstruktive, lebenzugewandte und kreativ wirkende Energie bewirkt eine Absonderung von der magischen und nur schwer durchschaubaren Dominanz des Weiblichen. Durch ihn stirbt das Gefühl der Fremdverantwortung, des Geborgenseins im mütterlichen Schoß der Existenz. Der Mensch wird sozusagen erwachsen und entbindet sich von der Fürsorge des Elternhauses, d.h. von den Fixierungen der Vergangenheit. Er besitzt aber noch nicht die Zukunftsorientiertheit des Wassermanns, sondern entdeckt den Status des Augenblicks, die Befreitheit von fremden Projektionen. Wie die Sonne bemüht sich die Löwe-Energie um eine geistige Gewichtung von Gefühl und Verstand und ist dabei von dem Bestreben motiviert, die innere mit der äußeren Welt in einen freundschaftlichen Kontakt zu bringen, ohne dass der eine oder der andere Bereich eine Dominanz erhält. Die Persönlichkeit und die äußere Welt müssen sich einander angleichen und sich ebenbürtig spiegeln. Wird das Gefälle zu groß, entstehen Extreme wie Minderwertigkeitskomplexe oder Größenwahn oder eine Mischung aus beidem (Sublimierung des Minderwertigkeitskomplexes). Eine derart signalisierte Entgleisung der Löwe-Energie ist immer ein Hinweis darauf, dass die Expansion des geistigen Differenzierungsvermögens durch planetare Einflüsse oder Betonungen anderer Tierkreisenergien blockiert ist und die Abnabelung vom seelischen Bereich noch nicht vollzogen wurde.
Wir haben es dann mit dem niederen, krebsgebundenen
Löwe-Typen zu tun, dem Löwen, der nach rückwärts in den Tierkreis schaut und
dessen Hinterläufe noch im Mondbereich haften. In diesem Fall verbinden und
fixieren sich Gefühl und Ego und münden in unreflektierte Machtausweitung:
eine extrovertierte Inflation des Ego. Dies führt zu Machtrausch und Selbstüberheblichkeit
und trägt plutonischen, d.h. selbstzerstörerischen Charakter in sich. Im
anderen Extrem kann diese Konstellation das geistige Rückgrat sowie das Gefühl
der Selbstverantwortung brechen. Das Ego scheitert dann ohnmächtig an der
gefühlsmäßigen Dominanz der Mond-Krebs-Energie und entwickelt
Minderwertigkeitsvorstellungen, d.h. Angst vor der Selbstbestimmung. Jeder Mensch durchläuft in seiner Entwicklung zwischen dem
18. und dem 24. Lebensjahr das 4. Feld (die Analogie zur Krebsthematik) und
beginnt sich vorsichtig vom Elternhaus, vor allem der Mutter, sowie von alten
seelischen Verhaftungen zu befreien. Man beginnt in diesem Stadium ein
eigenständiges Gefühlsleben zu entwickeln, übernimmt Verantwortung für seine
eigene Weiblichkeit und lernt, Gefühle zuzulassen und abzugeben bzw. andere
Menschen in den eigenen gefühlsmäßigen Verantwortungsbereich mit
einzuschließen.
Durch diesen hier etwas abgekürzt umschriebenen Vorgang kann jetzt als nächste Stufe der zweite wichtige Abnabelungs- und Individuationsprozess stattfinden: die Ablösung von den geistigen Werten des Vaters und die Entwicklung eigener geistiger Differenzierungskriterien. Wir befinden uns hier im 5. Feld, das der Löwe-Energie entspricht und das wir zwischen dem 24. und 30. Lebensjahr durchwandern. Wir entdecken in dieser Phase unser männliches Wesen, unsere Kreativität, unsere idealistischen Qualitäten und unsere individuellen Merkmale, die uns von anderen Menschen unterscheiden. Neben der Verschiedenheit der persönlichen Egos spüren wir in dieser Zeit auch die Notwendigkeit, uns mit den allgemeinen und traditionellen Werten des überpersönlichen Egos, d.h. den geistigen Verarbeitungsangeboten von Religion, Philosophie und Wissenschaft auseinanderzusetzen.
Wenn wir uns mit unserem inneren Mann, d.h. unserem natürlichen Wesen, identifizieren, sondern wir uns vom Weiblichen ab, um uns ihm erneut, aber diesmal in klarer Bewusstheit zu nähern. In diesem Zustand wähnt man sich zwar der Krebs-Energie überlegen, ist aber ihrem Faszinationsbereich noch nicht entzogen. Die polare Herausforderung und Ergänzung wird gesucht, der androgyne Zustand jedoch, den die oppositionelle Wassermann-Energie anstrebt, ist noch nicht erreicht. Die seelische und geistige Selbstfindung von Krebs und Löwe mündet also weitgehend in Rollenfixierungen (männlich-weiblich) und kann in der bewussten Identifikation noch nicht austauschbar erlebt werden (wie im Wassermann). Erst durch die an den Löwen angrenzende Jungfrau-Energie kann eine vorläufige Neutralisierung durch die Entwicklung der sozialen Verantwortung erreicht werden. Im Zeichen Jungfrau angekommen, müssen das persönliche Ego des Löwen und die persönlichen Gefühle der Krebs-Hydra überwunden sein. Die überpersönlichen Kriterien von Löwe und Krebs, das magische und geistige Weltbild, müssen, in deren archetypischem Sosein, über das jungfräuliche Medium der objektivierenden Wissenschaftlichkeit eine kritische Synthese erfahren. Über die Waage-Energie findet dann eine ästhetische Gewichtung, polare Entspannung und mystische Vereinigung der Yin-Yang-Disharmonie der höheren Krebs-Löwe-Thematik statt. Durch die Verschmelzung der überindividuellen Sonnenoktave mit den kollektiven Archetypen des Krebses ist man nunmehr mittels der Waage-Energie in der Lage, einen Standpunkt jenseits seelischer und geistiger Opposition einzunehmen. Dank dieser Wertneutralität ist es dem Menschen zum ersten Mal möglich, sein Ego zu überschreiten, die äußere Welt und das Du unvoreingenommen zu betrachten und dadurch die Harmonie zu entdecken, die in der rollenspezifischen Subjektivität nicht erkennbar ist.
Beide Zeichen, Waage und Löwe, zeichnen sich durch eine besondere künstlerische und ästhetische Gestaltungskraft aus und werden deshalb häufig miteinander in Bezug gesetzt. Die künstlerische Motivation des Löwen bzw. der Sonne beruht immer auf einer Selbstdarstellung, Selbst-Verherrlichung oder spiegelt einen gesellschaftlichen oder geistigen Status wider. Sie ist nicht vom persönlichen oder überpersönlichen Ego zu trennen: Sie ist entweder extrovertierte gestalterische Verarbeitung individueller Problematik (eine Widerspiegelung der kämpferischen Auseinandersetzung zwischen persönlichem und überpersönlichem Ego) oder wurzelt in der Motivation, allgemeine geistige Werte (Religion, Weltbild) durch künstlerische Umsetzung und Betonung gegenüber den gewöhnlichen persönlichen Kriterien und Bereichen hervorzuheben. Der Löwe möchte strahlen, beeindrucken, glorifizieren, die Macht des Geistes und des männlichen, solaren Weltbildes demonstrieren. Hierbei läuft er häufig Gefahr, ins Dekorative und Exklusive abzugleiten, d.h., Kunst wird schlichtweg benutzt, um Eindruck zu schinden oder geistiges Niveau vorzutäuschen. »Kunst ist, so vermute ich, nur etwas für Anfänger oder aber für solche entschlossene Sackgäßler, die sich dafür entschieden haben, sich mit dem Einsatz fürs Sosein zufriedenzugeben, lieber mit Sinnbildern als mit dem, was sie versinnbildlichen, mit dem trefflich komponierten Kochrezept statt der wirklichen Speise« (A. Huxley). Die Kunst ist dann zu einer reinen Repräsentations- und Imagefigur degradiert und als gesellschaftlicher Machtfaktor ins Spiel gebracht. Die Demonstration geistiger und künstlerischer Macht wird von den verschiedenen gesellschaftlichen Systemen und nationalen Gruppierungen noch immer als Mittel der subtilen Politik eingesetzt und hoch subventioniert.
Die künstlerische Gestaltungsmotivation der Waage beruht in ihrer Intention darauf, die Ästhetik und Harmonie eines von Gegensätzen befreiten Zustandes in einer möglichst allgemeingültigen Art und Weise darzustellen, den Menschen aus seinem polaren Spannungsfeld herauszuheben und in das Reich der grenzüberschreitenden Fantasie zu führen. Die Waage, kollektiv am besten in der künstlerischen Tradition des Waage-Landes Tibet widergespiegelt, rührt immer wieder die Vereinigungssehnsucht mit dem Mystischen an, das in den Symbolen des Tantra seine höchstmögliche Umsetzungsform findet. Haben wir den niederen Löwe-Typen dadurch charakterisiert, dass ihm die Abnabelung aus dem Krebs-Bereich nicht vollständig gelungen ist, möchte ich zum Abschluss auch den höheren Löwe-Typ beschreiben, dem diese Loslösung geglückt ist und dessen Kopf und Vorderläufe der Jungfrau zugewandt sind. Bei ihm mischen sich nicht geistige Werte mit Gefühlen egozentrischer Machtausweitung. Er ist vielmehr darum bemüht, sein mühsam erarbeitetes geistiges Differenzierungsvermögen einer möglichst objektiven wissensmäßigen Prüfung zu unterziehen. Er möchte seine geistige Potenz verantwortungsbewusst und dienend dem sozialen Ganzen zur Verfügung stellen. Hierbei ist er ängstlich darauf bedacht, sein persönliches Ego auszuschalten und zu unvoreingenommenen geistigen Beurteilungen zu gelangen. Seine Motivationen sind rein und klar und basieren auf hohen ethischen Bildern. Er begreift die Ernsthaftigkeit und Tragweite geistiger Entscheidungen. Man findet unter den Jungfrau-orientierten Löwe-Typen viele religiöse und weltanschaulich orientierte Menschen, die über ein großes Potential von Toleranz und menschlicher Reife verfügen. Soziale Verantwortung ist für sie immer eine Synthese aus Vorbildhaftigkeit und praktischer Hilfsbereitschaft. Sie verkörpern gleichzeitig geistige Größe und gewissenhafte soziale Hingabe.



Hans Hinrich Taegers Buch "Astro-Energetik", erstmals erschienen im Jahr 1982, unternimmt den Versuch, die Bereiche altehrwürdiger
Astrologie und des traditionellen buddhistischen Weltbildes unter der neuen Bezeichnung »spirituelle Astro-Energetik« zusammenzuführen.