Die Venus, im Asiatischen der Venus (- in Form eines vermittelnden weisen alten Mannes) ist - obwohl einer der erdnächsten und erdähnlichsten Planeten - eine Energie, deren hintergründiges Wirken und Wesen sich nur schwer entschlüsselt. Schlagworte wie Liebe, Harmonie, Vereinigung, Polaritätsüberwindung, Mandala-Kraft etc. liegen einem schnell auf den Lippen, ohne dass man ihren tieferen Sinn näher hinterfragt. Gibt es nicht zehntausende Arten von Liebe, unendlich viele widersprüchliche Vorstellungen von Harmonie (man denke hier auch an die unterschiedlichen »Paradies«-Visionen der Religionen: des Aufgehens in reines Licht, des Aufenthalts in märchenhaften Landschaften, in denen Milch und Honig strömt oder der Verschmelzung mit der offenen Leere-Dimension), eine Unzahl von Vereinigungssehnsüchten, Millionen Wege von Diplomatie, unendlich viele, den Zeitströmungen unterliegende Schönheitsideale? - Heißt Liebe nur himmelwärts gerichtete Selbstaufgabe engelhafter »Hosianna-Sphären«? - Kann sie sich nicht auch in Strenge, Zorn, Unnachgiebigkeit oder gar Hass zeigen? - Ist Venus mythologisch nicht gleichermaßen mit dem Göttervater Jupiter-Zeus und dem Höllenfürsten Pluto vermählt? - Göttin und Hexe in einem?
Sind unsere Liebes- und Harmonievorstellungen nicht durch
2000 Jahre Christentum völlig eingeengt, polarisiert und ausschnitthaftig? -
Muß Liebe überhaupt etwas mit »gut« zu tun haben? - Was ist unsere Definition
von »gut«? - Ist Liebe nicht eher eine Form neutraler Weisheit? - Gibt
es überhaupt Zustände wie Nicht-Liebe oder Disharmonie oder ist nicht alles
Harmonie und Liebe, nur dass wir dies in unserer subjektiven Befangenheit nicht
als solches erkennen?
Viele Fragen, wenig Antworten. Jeder kennt jedoch Augenblicke in seinem Leben, in denen ihm selbst das größte Chaos harmonisch erscheint und hinter finsteren, oft leidvollen Bewusstseinswolken die Welt urplötzlich in einem klaren Licht einer ewigen Grundharmonie aufblitzt, die weder gut noch böse, weder hell noch dunkel, weder schön noch unschön kennt. Wo sich selbst ein hässlicher und trostloser Ölfleck als ein Mysterium von Regenbogengefunkel enthüllt und dadurch den kostbarsten aller Edelsteine in den Schatten stellt. Flashs, in denen sich alle Gewohnheitswerte unseres getrübten Bewusstseins umkehren, wir die Welt mit anderen Augen sehen, Kinderaugen, die unbelastet aller Vorgewichtungen dem verborgenen Zauber des Seins gegenübertreten. Verfolgen wir diese Gedankengänge, gelangen wir von den zweifelhaften Liebes- und Harmonievorstellungen zu einer wirklich wesenhaften Schlüsseleigenschaft von Venus: Magie und Zauber (Verzauberung).
Als schaumgeborene Tochter des mystisch-gewaltigen Neptun-Poseidon, Symbol des allesdurchdringenden und alles bedingenden Eros steht sie ihm darin in nichts nach und lockt uns mit ihrem Liebeszauber sowohl in subtil-esoterische Licht-, Zwielicht- und Dunkelwelten als auch in alle nur erdenklichen profanen Verstrickungen, bedient sich dabei aller magischen Raffinessen, einfach um uns das Magisch-Illusionshafte unseres Seins durch angenehme, aber auch bittere Erfahrungen immer wieder ins Bewusstsein zu rufen. Hierdurch bereitet sie uns auf den transsaturnalen Bereich vor, eine Welt jenseits des Raum-Zeit-Gefüges und jenseits des polaren und zweckorientierten Gewohnheitsdenkens. An unser Ego gebunden (Venus befindet sich im Horoskop immer in Sonnennähe), verleitet sie uns aber auch, selbst »Weh-Nuss« zu spielen, und dies gibt meist reichlich Konflikte, da wir Liebes- oder Charmezauber anwenden, ohne zu wissen, wohin wir andere und uns selbst damit bringen. Wir gleichen Kapitänen, die zu einer Seefahrt einladen, und dies ohne alle Meereskenntnisse, Zielvorstellungen oder Kompass. Der Schiffbruch ist beinahe vorprogrammiert.
Ich muss heute noch still amüsiert an den Anfang der siebziger Jahre denken, als durch Plutos Eintritt in die Waage das Wort Tantra und Liebesmagie in aller Munde lag und sich jeder, der etwas auf sich hielt, mit wenig mehr als einer oberflächlichen Ahnung in die absurdesten erotischen Abenteuer stürzte und mit »wissenden« Augen, einfallsreichen Hippie-Kostümierungen und allerlei Geheimnistuerei nach ekstatischer Erleuchtung strebte. Vielleicht haben es einige geschafft, doch was in erster Linie zurückblieb, war ein wüster Kinderboom (Vater unbekannt) und ein neurotisches Beziehungsgeflecht, das einen schalen Geschmack und einen Haufen Verwirrung zurückließ. Asiens jahrtausendealtes Wissen um manche Geheimnisse aus Venus' Schatztruhe lässt sich eben nicht so ohne weiteres auf westliche Verhältnisse übertragen. Wer Venus in ihrem äußerst vielschichtigen und bedeutungsvollen östlichen Gewände begreifen möchte, kommt um ein tieferes Studium von Hinduismus, Buddhismus oder Taoismus nicht herum.
Doch mit Zauber allein ist Venus nicht zu erklären. Venus
als Königin des Luftelements ist auch Denken und Weisheit, wobei sie uns Wege
aufzeigen möchte, uns aus den selbstgeschaffenen Ursache-Wirkung-Verstrickungen
(= Karma) herauszulösen. Dies ist jedoch nur möglich, indem sie unseren
polaren Denkverkrustungen durch ein differenzierteres, weiteres und grenzüberschreitendes
Begreifen entgegenwirkt. Hier ist ihre Sonnen- resp. Egonähe sehr hilfreich,
da sie sozusagen an der Quelle des Übels arbeiten kann, denn es sind aus nahmslos unsere Ich-Vorstellungen, die uns von der Ganzheit
und der damit verbundenen ursprünglichen Harmonie isolieren. Durch
wissensmäßige Horizontausweitung in den eso- und exoterischen Bereich hinein
(an der natürlich auch Merkur, Uranus und alle übrigen Planeten mitwirken)
versucht sie unser Ego umsichtiger, sensibler, vorsichtiger, transparenter,
flexibler und offener zu gestalten und es langsam an ein Du- und Wirbewusstsein zu gewöhnen. Dies verlangt natürlich mancherlei (weibliches)
Geschick, vielleicht sogar ein bewusstes In-die-Irre-Schicken, um durch daraus
resultierenden leidvollen Rückspiegelungen das Ego zur Selbstreflexion und zum
Umdenken anzuregen. Venus' Wege und Möglichkeiten sind niemals direkt. Ihre
Stärke zeigt sich vielmehr in weiser List, Diplomatie, Wunschkraft,
Dissonanzleid und in Gefühlen, die das Lernen belohnen, wie Erleichterung,
Entspannung, Gelöstheit. Während sie mit unablässiger Ausdauer unser Ego nach
Harmonie und karmischer Ent-Bindung suchen lässt, verweilt ihr Bewusstsein,
unter geheimnisvollen Schleiern verborgen, in der strahlenden
Regenbogenklarheit zeit- und grenzenloser Harmonie. Wie wär's mit »Paradise
now«!?


Hans Hinrich Taegers Buch "Astro-Energetik", erstmals erschienen im Jahr 1982, unternimmt den Versuch, die Bereiche altehrwürdiger
Astrologie und des traditionellen buddhistischen Weltbildes unter der neuen Bezeichnung »spirituelle Astro-Energetik« zusammenzuführen.