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Die Rektifizierung einer Geburtszeitangabe scheint vordergründig angebracht
- schließlich braucht der Astrologe eine exakte und verlässliche Uhrzeit
als Grundlage zutreffender Interpretationen.
Doch gibt keine der diversen Korrekturmethoden die erhoffte Sicherheit bzw.
Gewähr; jede beruht auf sehr wackligen (hypothetischen) Voraussetzungen.
Und die unterschiedlichen Techniken kommen regelmäßig zu unterschiedlichen
Ergebnissen - von denen dann mehr oder weniger willkürlich das "passendste" ausgesucht
wird.
Ich misstraue grundsätzlich jeder Korrektur - außer wenn sie nur
wenige Minuten beträgt und vom Horoskopeigner selbst (nach jahrelanger
Beobachtung) durchgeführt wurde.
Ein Unding ist, wenn die Geburtszeit gar um Stunden verschoben wird (wie
teilweise üblich). Zur Rechtfertigung werden dann abenteuerliche Theorien
konstruiert, warum die offizielle Zeit falsch, wieso sie falsch notiert bzw.
falsch übermittelt worden sei. (Auch Eltern und Verwandtschaft basteln
mit dem Abstand der Jahre um die Vorgänge und Abläufe der Geburt
einen immer bunteren Mythos.)
Im Zweifelsfalle gebe ich stets der amtlichen Zeit den Vorzug - das gebietet
nicht nur meine Steinbockbetonung, sondern auch und gerade die wissenschaftliche
Seriosität. Das Personal von Klinik und Standesamt ist am glaubwürdigsten/
authentischsten - ihre Notiz war in der Regel dem Geburtsgeschehen am nächsten,
ihre Aktenführung bzw. Registratur ist neutral und unvoreingenommen,
diese Institutionen hegen keinerlei subjektiven oder unterschwellig mythenbildenden
Interessen.
Das ausführliche Berechnen der verschiedenen Geburtszeitvarianten nährt
natürlich unser Selbstverständnis als moderne mathematici (á la
Kepler);die langen, komplizierten Zahlenreihen sind beeindruckend. Die Prozedur
sieht solide, fundiert aus, verleiht einen wissenschaftlichen Anstrich, bestärkt
des Astrologen u.a. von Statistikflops so arg gebeuteltes Selbstgefühl
- zumal dabei mit "empirischen" Daten, konkreten Fakten der Persönlichkeit
und Biografie operiert wird. Die jonglierenden Rechenkünste wollen uns
vorgaukeln, dass unser Wissensgebäude eben nicht auf unbeweisbarem Grund
errichtet sei, auf vagen Theorien und Spekulationen, sondern dass die Astrologie
nachweisbar stimme...
Dass solche Argumentation zirkulär ist (das zu Beweisende nicht sich
selbst beweisen kann), wird bei näherer Betrachtung schnell deutlich.
Dass andererseits ein in sich geschlossenes Weltbild (Paradigma) wie die
Astrologie prinzipiell weder bewiesen noch widerlegt werden kann, dass statistische
Untersuchungen zwangsläufig fehlschlagen müssen, habe ich in "Astrologie
und Wissenschaft" darzulegen versucht, auch die Frage aufgeworfen, warum
man derlei Legitimationsbemühungen nötig hat, ob nicht - angesichts
der ökologischen Katastrophe - die Naturwissenschaften ihrerseits unter
einem Rechtfertigungsdruck stehen.
In der Astrologie lassen sich Symbol und Ereignis jedenfalls nicht einfach
gleichsetzen, funktioniert es nicht nach dem Schema "a = b" wie
in den Gleichungen der Schulmathematik, gibt es keine lineare und kausale
Verknüpfung von Wirkendem und Erwirkten wie in der klassischen Physik!
Als Archetypen sind die astrologischen Urprinzipien vielschichtig und mehrdeutig.
Unser Wissensgebiet ist überhaupt unerschöpflich - von daher wäre
ein gutes Stück Bescheidenheit angebracht. Mehr als anderswo gilt hier,
dass auch ein Lehrender nie auslernt. Man weiß nie hundertprozentig,
was die Konstellationen genau bedeuten, wie ihre Manifestation im Konkreten
aussieht; auszuschließen ist jedenfalls nichts.
Für Geburtszeitkorrekturen wird zweifelsohne ein erheblicher Aufwand
erbracht. Doch wäre es nicht sinnvoller, die investierte Energie in
eine gründliche Deutung zu stecken? "Wahrheit" erschließt
sich uns nur intuitiv, über die intensive Auseinandersetzung mit einem
Horoskop oder Menschen. Eigtl. bietet schon die Tageskonstellation (ohne
Vorliegen einer Geburtszeit) reichlich Material zur Beschäftigung. Es
drängt sich der Verdacht auf, dass der Astrologe, welcher sich erst
lange und abstrakt mit der "richtigen Uhrzeit" befasst, die Begegnung
mit dem lebendigen Klienten scheut, bzw. dass es mit seiner Phantasie hapert,
seine Deutungskunst mittlerweile erstarrt, stereotyp ("tot") ist.
Noch ein schlimmerer Verdacht beschleicht mich: dass die "Korrekturspezialisten" nicht
richtig mit den Schicksals-Implikationen ihrer Arbeit umgehen können.
Ihr Unbewusstes kann nicht akzeptieren, dass so manches "von oben" einfach
gesetzt ist, und zwar unverrückbar. Sie wollen steuern, manipulieren,
in einer psychischen Inflation (Ego-Aufblähung) auf eigene Faust Schöpfer
spielen, den antiken Nornen gleich die Schicksalsfäden und Lebensströme
durch ihre Hände rinnen lassen - in selbstherrlicher Anmaßung
und ihr Wissen um die höheren Dinge missbrauchend.
Gegenüber den in die Astrologie hineinspielenden existenziellen Themen
(wie Leben und Tod, Karma und Dharma) ist m.E. respektvolle Vorsicht geboten.
Statt an einer angegebenen Geburtszeit herumzurühren, sollte man mit
dem Vorhandenen arbeiten, das jeweilige Horoskop - in der nunmal vorliegenden
Form - zu sich sprechen lassen.
(geschrieben 1997)
Die Website Richard Vetter:
http://astrologix.de/astroInfo/
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