Die "Schalen" des Menschen
Ephemeriden der neuen interpolierten Lilith
Von Dieter Koch und Bernhard Rindgen
Seit geraumer Zeit ist Lilith ein wichtiger astrologischer Deutungsfaktor. Gleichwohl herrscht um seine genaue Position immer noch Verwirrung. Kochs Beitrag besteht in einer Kritik der bisherigen Ephemeriden und einem Versuch, das Problem theoretisch sauber zu lösen.
Gängigen Definitionen gemäß ist Lilith entweder der zweite Brennpunkt der Mondbahnellipse oder das Apogäum, der erdfernste Punkt der Mondbahn. Geozentrisch gesehen liegen beide Punkte in derselben Richtung. Versteht man Lilith als das Apogäum, dann ist auch das Perigäum (die Erdnähe) zu betrachten, das auf den Namen Priapus getauft wurde. Beide Punkte, Apogäum und Perigäum, fasst man unter den Begriff "Apsiden der Mondbahn" zusammen.
Zurzeit ist die Ephemeride der mittleren Lilith am gebräuchlichsten. Ihre Schwäche besteht darin, dass der Mond, wenn er sich tatsächlich im Apogäum befindet, von der mittleren Lilith 5 Grad entfernt sein kann. Es stellt sich daher die Frage nach einer wahren Ephemeride von Lilith.
Eine angeblich "wahre" Lilith wurde 1993 in den New International Ephemerides (Ed. St. Michel) publiziert. Diese erfährt eine enorme monatliche Oszillation, weicht bis 30 Grad von der mittleren Lilith ab und erreicht eine tägliche Geschwindigkeit von 6 Grad. Sie beruht auf einer Approximation der Mondbahn zu jedem Zeitpunkt durch eine keplersche Ellipse. Man verfährt hier also ähnlich wie bei der Berechnung von oskulierenden Bahnelementen für Asteroiden und Planeten. Dieser Ansatz beruht jedoch nach Kochs Ansicht auf einem fundamentalen Missverständnis der Bedeutung von Kepler-Ellipsen und liefert daher keine sinnvollen Positionen. Ellipsen sind im Grunde nur geeignet zur Beschreibung von Zweikörper-Systemen (ein einziger Planet umkreist eine Sonne), nicht jedoch bei Mehrkörper-Systemen (mehrere Planeten stören sich gegenseitig). Bei der Bahn des Mondes um die Erde, die durch die Sonne stark verformt wird, ist eine Ephemeridenrechnung mit Hilfe approximativer Ellipsen vollends absurd. Die gewaltigen monatlichen Oszillationen der sogenannten "true Lilith" zeigen keine tatsächlich existierende Bewegung an; sie demonstrieren vielmehr, dass der Zweikörper-Ansatz bzw. die Ellipse zur Beschreibung der Mondbahn nicht taugt.
Der wahren Ephemeride von Lilith kommt Koch auf die Spur, indem er die tatsächlichen Apogäumsdurchgänge des Mondes beobachtet. Die Punkte, an denen sie sich ereignen, beschreiben ebenfalls eine Kurve. Die neue Ephemeride beruht somit auf einer Interpolation zwischen den tatsächlichen Apogäumsdurchgängen. Deshalb erhielt sie auch den Namen "interpolierte Lilith". Deren Abweichung von der mittleren Lilith erreicht nur + / - 5 Grad, und ihre Periode beträgt ca. 206 Tage.
Verfährt man mit Priapus auf gleiche Weise, so zeigt sich, dass dieser Punkt eine eigenständige Bewegung vollführt und keineswegs in Opposition zu Lilith stehen muss. Die Abweichung des interpolierten Priapus vom mittleren erreicht bis 25 Grad. Koch liefert separate Ephemeriden für beide Apsiden. Damit steht der Astrologie neben einer genaueren Lilith-Ephemeride erstmals auch eine verlässliche Priapus-Ephemeride zur Verfügung.
Die neuen Ephemeriden sind strukturell verwandt mit der sogenannten "Lilith corrigée", die zwar völlig falsche Positionen liefert (d.h. Apsidendurchgänge des Mondes nicht richtig anzeigt), jedoch auf dem im Grunde richtigen Ansatz beruht, dass die Abweichung der tatsächlichen Apsiden von den mittleren im wesentlichen von der Winkeldistanz zwischen der Sonne und der mittleren Lilith abhängt.
Bernhard Rindgens Beitrag zur Arbeit besteht in der astrologischen Erprobung der neuen Ephemeriden an ihm bekannten Horoskopen und Schicksalen. Bei dieser 1995 begonnenen Arbeit schenkte Rindgen auch dem bislang weitgehend unerforschten Mondperigäum - Priapus - gebührende Aufmerksamkeit. Es schälte sich bald heraus, dass die neue Ephemeride endlich stimmige Ergebnisse erbrachte: stimmig insofern, als sich eine im Autor herangereifte Überzeugung vom tiefenpsychologischen Charakter des Priapus in den Beispielhoroskopen immer wieder als aussagekräftig bestätigte. Rindgens Ansatz zur tiefenpsychologischen Erklärung der Faktoren Lilith und Priapus ist aus der esoterischen Psychologie heraus entstanden - unter besonderer Bezugnahme auf die kabbalistische Lehre von den sogenannten "Kelippoth", den Sphären der abgespaltenen Begierden und Gedanken (oder die sogenannten "Schalen"), die den Menschen solange begleiten, bis die darin aufbewahrten Energien in irgendeiner Weise der Erfüllung zugeführt werden. Obwohl dieser Ansatz mit den bisherigen Forschungsergebnissen von Astrologinnen zu Lilith weitgehend kompatibel ist, vertieft er doch die Astrologie der Mondapsiden ganz wesentlich und eröffnet neue, tiefergehende Dimensionen zum Verständnis dieser Faktoren.
Ein Ausgangspunkt für diese Betrachtungen ist die Studie von Siegmund Hurwitz "Lilith - die erste Eva", in welcher Hurwitz den "Doppelaspekt" der Lilith herausgearbeitet hat, den sie in der babylonischen und hebräischen Dämonologie besaß. Es sind dies der Lamaschtu- und der Ischtar-Aspekt. Diese beiden Aspekte werden von Rindgen mit Lilith als dem Mondapogäum und Priapus als dem Mondperigäum astrologisch identifiziert. Es ergeben sich hieraus weitere Zusammenhänge mit so unterschiedlichen Phänomenen wie z.B. Fehlgeburten und Abtreibung, Hodenkrankheiten, Bakteriologie, politische Emanzipation, Satanismus, Mediumismus, Sukkubismus, Parapsychologie und Nudismus.
Alle diese, im ersten Teil von Rindgens Untersuchung tiefenpsychologisch ausgeführten Aspekte von Lilith und Priapus werden im zweiten Teil astrologisch fundiert. Keines der im theoretischen Teil angeführten, mythologisch und psychologisch mit Lilith und Priapus assoziierten Themen bleibt ohne empirische astrologische Bestätigung - allerdings ergibt sich diese Bestätigung nur bei Verwendung der interpolierten Ephemeriden.
Dies gilt insbesondere für das bislang - fälschlicherweise - als bloßer Oppositionspunkt zu Lilith angesehene Mondperigäum. Als zwei Beispiele hierfür seien genannt: die immer wieder, mit verblüffender Regelmäßigkeit auftretende Korrelation der Priapus-Saturn-Aspektverbindung mit dem pathologischen Phänomen Satanismus; und die Beobachtung, dass soziale und sexuelle Motive wie Nudismus, sogenannte "perverse" Sexualpraktiken und Aktfotographie sich astrologisch in Verbindungen des Priapus mit den expansiven Planeten finden lassen. Rindgen spricht hier vom "arkadischen Archetyp", der sich Ausdruck schafft.
Die Autoren sind davon überzeugt, dass die Forschungen mit Lilith und Priapus
in Zukunft viel Erkenntnis und viele Heilungsperspektiven erbringen werden.
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