"Auf die Plätze, fertig, los!"
... schreit der Mars und stürmt in den Wassermann.
Kolumne von Barbara Hutzl-Ronge
Als der Wecker läutet, bin ich
schon längst wach, denn meine Nacht war alles andere als ruhig.
So viele Gedanken sind mir durch den Kopf gegeistert. Schnell
waren sie da, haben um Beachtung geheischt, aber sobald ich einen
fassen wollte, hat sich schon ein anderer in den Vordergrund gedrängt.
Und nun ist mein Kopf übervoll. Zu viel habe ich gleichzeitig
angedacht und nichts zu Ende. Ich bin kribbelig und nervös. Warum
liege ich überhaupt noch in den Federn, wenn es so viel zu tun
gibt?
Und schwups, springe ich aus
dem Bett. Au, mein Kreuz! So schnell geht es offensichtlich doch
nicht. Kein Wunder, warum sollte es ausgerechnet mir gelingen,
in einer Nacht sechs arbeitsame Wochen, die ich steinböckisch
ausdauernd auf dem Bürostuhl verbracht habe, aus den Knochen zu
schütteln. "Zeit, dass du etwas für deine Fitness tust, du Faultier",
sage ich vorwurfsvoll zu mir und schwöre mir, meine morgendlichen
Joggingrunden wieder aufzunehmen. Bloss heute noch nicht, weil
jetzt muss ich schleunigst in die Praxis.
Etwas
später an einer belebten Zürcher Kreuzung weiss ich eines wieder
sicher: den anderen geht es wie mir und auch nicht besser. Der
Wassermannmars hat uns aus den Betten katapultiert und in allen
das Gefühl geweckt, dass nun nur mehr eines zählt: so schnell
wie möglich vorwärts zu kommen. Gasfüsse haben nervöse Zuckungen,
Blinken ist seit heute gänzlich aus der Mode. Hält sich überhaupt
noch irgendwer an die Verkehrsregeln?
In der Praxis leuchtet der Anrufbeantworter:
eine Absage für heute vormittag, eine dringende Anfrage. Ich packe
schon die Agenda aus, und überlege, wie ich dieser Bitte nachkommen
kann. Inzwischen öffnet sich die Mailbox. Ding, dong, die Redaktion
fragt an, ob sie meine Texte diesmal etwas früher haben könnten.
"Komm zeig ihnen, was du kannst, hat ja gerade eben wer abgesagt
und schliesslich bist du flott", sagt der Widdermerkur in mir.
"Spinnst du", kontert mein Jungfrauaszendet, "ohne genügend Zeit
zum Überarbeiten, wird das nie gut!" Und plötzlich merke ich,
wie ich hektisch werde. Dann muss ich lachen: Hat er es doch wieder
einmal geschafft, Mars, der alte Schlawiner, mich in den Tag zu
hetzen.
Ich koche mir einen Tee (Kaffee
wäre jetzt glatter Wahnsinn), lasse den Anrufbeantworter eingeschaltet,
lege meine Beine hoch und schaue mir in meiner Agenda die kommenden
Wochen an. Ich habe sie mir ja - vorausschauend für die Zeit,
solange Mars den Wassermann durchläuft - gut eingeteilt. Da gibt
es Klientenwochen und Schreibwochen und dazwischen mehr Pausen
als sonst, damit ich auf all das Neue und Unerwartete, das der
Wassermannmars mit sich bringt, reagieren kann.
Und wenn ich mir die Freiheit
zu tun, was mir ganz plötzlich in den Sinn kommt, erhalten möchte,
dann muss ich diesem frechen Sturmwind nun auf die Finger schauen.
Denn dass er jetzt alte Pläne über den Haufen werfen und alle
Agenden durcheinanderwirbeln wird, ist klar. Ich werde mich aber
nicht gleich mitwirbeln lassen, sondern vorher fragen, "wohin
pustest du mich"? Möchte ich dahin? Und wenn sich die Richtung
gut anfühlt, dann erst werde ich mich von seinen Böen dorthin
tragen lassen. Ausserdem mag ich die Gunst des Augenblicks - die
ja feinerweise bis Mitte Juni dauern wird - auch nutzen, und mir
überlegen, welchen Drachen ich nun selber steigen lassen will.
Die Traumfetzen von heute Nacht
fallen mir wieder ein, auch die Unruhe ist wieder da. Irgendetwas
Neues will sich bemerkbar machen, aber es zeigt sich noch nicht
klar. Macht nichts, denn ich werde es in den kommenden Wochen
herausfinden, weil diese innere Unruhe mich führen wird. Was regt
mich auf? Was ist das Aufregendste, was ich mir vorstellen kann?
Ich werde es drehen und wenden, bis sich zu dem aufgeregten, aufregenden
Gefühl auch noch das einer inneren Lebendigkeit einfindet, die
mir zuwinkt. Und diesem Wink werde ich folgen und so Schritt für
Schritt an dem basteln, das neu in meinem Leben Platz haben soll.
Es wird ein bunter Drachen werden, kein 0815-Modell, sondern witzig,
frech und unverwechselbar. 
Plötzlich bin ich aufgeregt
wie in Kindertagen. Ob es mir wohl gelingen wird, meinen Drachen
gut im Wind zu führen? Und ich bin neugierig, wie all die anderen
Drachen aussehen. - Wie wird der Ihre?
© Barbara
Hutzl-Ronge / Astrodienst AG 04/2003 |