Wenn Skorpione sich trauen
Kolumne von Barbara Hutzl-Ronge
Kürzlich rief mich meine Freundin Beatrice an, holte tief Luft und
sagte: "Ich muss Dir etwas erzählen. Du bist die erste, die es erfährt.
Paul und ich haben vergangenen Donnerstag geheiratet!" Kaum war der
Satz draussen, klang auch schon ihr glockenhelles Lachen durch den
Hörer. "So schön!" freute ich mich mit ihr und konnte meine Neugier
nicht länger zügeln: "Und wie war es?"
Sie hatten im kleinstmöglichen Kreis heiraten wollen und daher das
Ereignis weder ihren Eltern, noch ihren Geschwister verraten. In
der kleinen Gemeinde, in der sie wohnen, warteten sie am betreffenden
Tag etwas nervös am Bahnhof auf Catherine und Markus, ihre Trauzeugen,
und deren drei Kinder, die allesamt als notorische Zuspätkommer in
unserem Freundeskreis bekannt sind. Diesmal aber kamen nicht nur
die Freunde zu spät, der ganze Zug kam nicht an. "Fahrleitungsschaden
auf der Strecke, wie bitten um Verständnis", lautete die Durchsage.
Also düste Paul mit dem Auto los, um die dringlich Erwarteten drei
Dörfer weiter abzuholen. "Es hätte mich ja gewundert, wenn alles
geklappt hätte", dachte Beatrice, fand die Situation aber gleichzeitig
amüsant. Wenn eine in kritischen Situationen nicht die Nerven verliert,
dann Beatrice.
Kurz vor vier Uhr ratterte Paul um die Ecke. Nun die Treppe hinauf
zum Standesamt zu sprinten und sie nüchtern heiraten zu lassen, dazu
waren Catherine und Markus jedoch nicht bereit, packten mitten am
Dorfplatz Champagnergläser aus und liessen den Korken knallen. Als
nächste traf Martha ein. Beatrice hatte nämlich ihrer ältesten Freundin
von der Hochzeit erzählt und diese hatte sich ausbedungen, als dritte
Trauzeugin - sozusagen als weise Fee - dabei sein zu dürfen. Sie
brachte allerdings zwei weitere Freundinnen mit und alle hatten sich
verkleidet: eine kam ganz in Weiss, die nächste in Rot, Martha in
Schwarz. Die drei bekränzten das Brautpaar mit vielem, was zwei sich
für ihr Eheleben wünschen können: Süsses und Scharfes, Dauerhaftes
und sich Wandelndes, und vor allem viel Zauberhaftes.
Behangen mit Vanilleschoten, Chilis, Tamarindenwurzeln, Engelskraut,
Blumen und bunten Federn betraten sie das Standesamt, in dem der
Beamte schon einige Zeit darauf wartete, dass die seltsame Gesellschaft
sich in seine Räume begeben würde. Drinnen angekommen dekorierte
Beatrice zu allererst seinen Tisch mit einer Wasserschale, legte
eine Blüte und eine Feder dazu und zündete eine Kerze an. Der junge
Mann gab sich Mühe seine Irritation zu verbergen und begann mit seiner
Ansprache. Als er mit einem Gedicht seiner Rede poetisches Flair
verleihen wollte, unterbrach ihn der Jüngste der Trauzeugenfamilie,
verkündete - den Mund voller Chips - dass er dieses Gedicht gern
vorlesen möchte, griff mit salzig fetten Fingern nach dem Text und
trug ihn salbungsvoll vor. Anders als geplant, aber immerhin kam
die Stimmung auf, die zu gestalten sich der Beamte bemühte. Der Zeitpunkt
auf die Ernsthaftigkeit des Ehelebens hinzuweisen und dabei viel
Ausdauer zu wünschen, schien günstig. "Keine Sorge, die beiden üben
schon 18 Jahre", bemerkte Markus daraufhin trocken.
Es wurde eine durch und durch heitere Hochzeit, bei der auch der
berühmte Marsch nicht fehlte. Nach dem Essen erklang er zu Hause
bei Beatrice und Paul aus dem CD-Player, unüberhörbar begleitet von
den Kindern mit Posaune und Saxophon. Unter den bunten Funken eines
Feuerwerks ging dann der Tag verheissungsvoll zu Ende.
"Weißt Du", sagte Beatrice, nachdem sie ihre Schilderung beendet
hatte, "mir war so wichtig, dass dies ein Tag nur für Paul und mich
wird. Ein Tag, den wir so erleben können, wie es unsere Art ist.
Ich weiss schon, dass eine Hochzeit in erster Linie etwas ist, mit
dem zwei vor der Gesellschaft ihre Beziehung deklarieren, aber wir
wollten all die Vorstellungen, die andere mit der Ehe verbinden,
nicht miteinbeziehen müssen: weder wie eine Hochzeit vonstatten zu
gehen habe, noch wen alles einzuladen "man" verpflichtet ist, und
schon gar nicht wollte ich mit all den Geschichten und Gefühlen konfrontiert
werden, die andere mit ihren geglückten und misslungenen Ehen verbinden." - Und
nach einer Weile fügte sie hinzu: "Ich war selber so voll von all
meinen Gefühlen, ich hätte die der anderen noch dazu einfach nicht
ausgehalten. Verstehst Du das?"
Klar, schliesslich kenne ich Beatrice und Paul schon seit Jahren.
Beide sind Skorpione der besonderen Art. Nicht nur die Sonne steht
in ihren Horoskopen in diesem Zeichen, sondern diverse andere Planeten
auch noch. Alles, was sie tun, tun sie daher mit einer unglaublichen
Intensität, begleitet von tiefen Gefühlen. In den Krisenmomenten
des Lebens, da stehen sie ihren Freundinnen und Freunden auf eine
verlässliche Art bei. Nicht unerschütterlich erlebe ich sie dann,
sondern sich erschüttern lassend und auf diese Weise emotional mittragend.
Diese Charaktermerkmale erwachsen Skorpionen aus ihrer grossen Empfindsamkeit
und ihrer Bereitschaft, sich anderen Menschen auf tiefster Gefühlsebene
zu öffnen. Wer jedoch emotional so offen ist, kann diese geöffneten
Kanäle nicht einfach zustopfen, wenn die Empfindsamkeit einmal unerwünscht
ist. Und so stürmen auf Skorpione auch dann die Gefühle, Erwartungen
und Wünsche derjenigen ein, die sie umgeben, wenn sie sich gern einmal
auf ihre eigenen Gefühle konzentrieren möchten.
"Ich finde es wunderbar, dass ihr Euch getraut habt! Nicht nur vor
dem Standesamt, sondern dass ihr Euch auch getraut habt, Eure eigenen
Bedürfnisse an einem solch wichtigen Tag ernst zu nehmen. Für Euch
zwei könnte ich mir keine schönere, stimmigere Hochzeit denken als
diese! - Wann sagt ihr es Euren Eltern?"
"Paul lädt sie, wenn wir aus den Skiferien retour sind, zum Essen
ein. Aus den Ferien werden wir ihnen eine Karte schreiben, damit
sie sich auf die neuen Verhältnisse einstellen können."
"Wir haben im Beisein von Trauzeugen, Hexen und Kobolden geheiratet" steht
auf der Karte. Auf dem Foto sind unscharf am Rand die weisse, die
rote und die schwarze Fee zu sehen, Kinderaugen blitzen versteckt
zwischen ihnen hervor und in der Mitte steht das Brautpaar: Paul
schaut begeistert auf den Korb mit den wunderbar magischen Geschenken,
Beatrice legt den Kopf glücklich lachend nach hinten. Selbst ihr
glockenhelles Lachen ist unübersehbar.
© Barbara
Hutzl-Ronge / Astrodienst AG 08/2003 |