Skorpionetude für Fortgeschrittene
Kolumne von Barbara Hutzl-Ronge
Irgendwie hatte ich mir das anders vorgestellt. Die Finger werden
nur so über die Tasten fliegen, dachte ich mir, wenn Du erst mal
dort bist. Und so war ich losgefahren und hatte den Alfa westwärts
bis in die Bretagne schnurren lassen. Ich bezog mein Hotelzimmer
mit Blick auf den Hafen, eine freundliche Sonne tauchte die Bucht
von Quiberon in helles Licht, das Meer glänzte friedlich und die
Luft war so klar, dass Belle Île am Horizont ihrem Namen alle Ehre
machte. Dahinter brachten ein paar Wolkenschlieren Abwechslung in
den postkartenblauen Himmel. Ich stellte schon mal die Gummistiefel
bereit.
Prompt rüttelte in der ersten Nacht der Wind unablässig an den Fensterläden
und danach wollte es gar nicht richtig hell werden, so dicht hingen
die Wolken am Himmel. Dicke Tropfen schlugen gegen die Scheiben und
bald goss es in Strömen. Das Meer rollte donnernd gegen die Hafenmauern,
die Fähre von der Insel tauchte aus einem wolkenverhangenen Nichts
auf. Als der Sturm etwas nachliess, zog ich den dicken Fliesspullover
an, den mir ein segelnder Freund wärmstens empfohlen hatte, montierte
die Kapuze an meine Regenjacke, nahm Handschuhe, Stirnband, schlüpfte
in meine Gummistiefel - Es geht doch nichts über das richtige Schuhwerk! - und
stapfte los. Während ich mich der Côte Sauvage entlang dem Wind entgegenstemmte
und das Meer sein Unterstes an den schroffen Felsen zu oberst schleuderte,
schien es mir ein Leichtes, sie zu schreiben - die neue Kolumne.
Was lag näher als die aufgewühlte See mit der leidenschaftlichen
Art der Skorpione zu vergleichen?
Doch die Sonne stand noch in der Waage und ein paar Tage ganz ohne
zu arbeiten hatte ich mir redlich verdient, jetzt, da nach Monaten
mein Buchmanuskript endlich beendet war. Also liess ich die Gedanken
an die neue Kolumne ziehen, alle anderen auch. Die Sonne hatte mittlerweile
ins Sternzeichen Skorpion gewechselt. Die FreundInnen aus Hochnebeltown
down Zürich mailten rundum alle dasselbe, nämlich dass sie sich - wie
es einer Skorpionsonne in Mitteleuropa gebührt - ausnahmslos hinter
einer dicken Nebelschicht, ja zeitweise sogar hinter Schneewolken,
verbarg. Meine bretonische Sonne hingegen hiess mich, wenn auch spät,
so doch jeden Morgen lachend willkommen.
Wollte ich nun meinen geschätzten Leserinnen und Lesern weismachen,
ich hätte unter dem Schönwetter gelitten, da es mir erschwerte, meine
Kolumne zu schreiben, wer hätte mir geglaubt? - Nein, so ist es nun
wahrlich nicht gewesen, vielmehr stattete ich dem Apotheker einen
Besuch ab, erstand eine Sonneschutzcreme und beschloss über die Schönwetterseite
des Skorpionischen zu schreiben.
Nicht nur diejenigen, die im Zeichen des Skorpions geboren sind,
sondern wir alle tragen Skorpionisches mit uns herum. Ein Blick in
Ihr Horoskop zeigt, wo es bei Ihnen zu finden ist. Vielleicht stehen
in Ihrem Radix ein oder sogar mehrere Planeten im Skorpion? Ebenfalls
lohnt es sich nachzuschauen, in welchem Haus, d.h. in welchem Lebensbereich,
bei Ihnen Pluto, der Herrscher des Zeichens Skorpion steht. Ist er
vielleicht auch mit anderen Planeten Ihres Horoskops verbunden? Wenn
Sie auf diese Weise nach den skorpionischen Themen Ihres Horoskops
suchen, was auf dieser Homepage ja einfach zu bewerkstelligen ist,
dann stossen Sie auf Lebensthemen, bei denen es Ihnen ganz ähnlich
gehen könnte, wie mir und dem Wetter in der Bretagne, denn was Sie
in diesen Lebensbereichen erwarten, ist stürmisches Wetter.
Diese Erwartung ist nicht ganz unbegründet, denn sowohl Planeten
im Skorpion wie auch Pluto verweisen auf jene Lebensbereiche, in
denen wir tiefgründige Erfahrungen machen wollen oder auch müssen.
Wie bei stürmischer See machen wir in diesen Bereichen Bekanntschaft
mit jenen Gefühlen, die bei uns und anderen tief und versteckt liegen,
die dann aber oftmals mit leidenschaftlicher Intensität an die Oberfläche
gespült werden.
Spannend finde ich es nun, zu ergründen, wie jeder einzelne mit
diesen Lebensbereichen umgeht. Klar, Sie alle haben in diesen Bereichen
leidenschaftliche, vielleicht auch leidvolle, sicher aufwühlende
Erfahrungen gemacht, aber denen wollen wir uns jetzt nicht zuwenden.
Was mich zur Abwechslung interessiert, ist: Wie blicken Sie auf diesen
Bereich Ihres Lebens, wenn dort, wo sie Sturm und hohen Wellengang
erwarten - so wie ich hier im Oktober in der Bretagne -, plötzlich
die Sonne lieblich vom Himmel scheint?
Denken Sie sich: "Sonne?! Na, die kann ja nicht lang anhalten, der
nächste Regen kommt bestimmt, wahrscheinlich sogar ein Sturmregen,
denn in diesen Breiten ist ja nichts anderes zu erwarten!" Getrauen
Sie sich dann so lange nicht weit weg von Ihrem Zimmer einen grossen
Spaziergang zu machen, bis es Tage später wirklich wieder regnet
und sagen sich dann womöglich: "Ich hab’s ja gewusst, dass es hier
dick kommt, wie gut dass ich mich nicht auf einen Spaziergang in
der Sonne eingelassen habe!"
Oder stellen Sie eines Tages fest: "Oh, Sonne! Die hätte ich hier
ja nicht erwartet." Packen Sie dann zur Sicherheit die Regenjacke
in Ihren Rucksack, bevor Sie der Küste entlang genussvoll eine weite
Wanderung unternehmen? Können Sie, wenn es zwischendurch mal einen
kleinen Spritzer vom Himmel regnet, Ihre Jacke anziehen und sich
darüber freuen, dass Sie erfahren genug sind, um sich auch für diesen
Fall gut auszurüsten?
Oder beherrschen Sie gar die grosse Kunst des Skorpionischen, Schönwetter
in sonst schwierigen Lebensbereichen dankbar und vollumfänglich geniessen
zu können? Sehen Sie also zum Fenster hinaus und merken begeistert,
dass vor Ihnen - endlich, oft genug war es ja schon anders! - endlich
nichts anderes liegt als ein friedliches Meer, in dem sich ein blauer
Himmel ohne ein einziges Wölkchen spiegelt? Können Sie dann dankbar
zur Sonne - oder zu wem auch immer - aufblicken und sagen: "Fein,
dass es hier mal so schön ist", und sich daraufhin dick Sonnencreme
ins Gesicht schmieren, mit staunendem Blick auf das azurblaue, türkisfarbene,
sich sanft wiegende Wasser schauen, während Ihre Nase sich an den
Düften erfreut, die die warme Sonne aus den Blüten lockt?
So oft schon habe ich mit meinen KlientInnen die Erfahrung gemacht,
dass sich viele immer nur dem zuwenden, was gerade schwierig und
schmerzvoll ist, dass sie aber meist vergessen, sich dankbar darüber
zu freuen, wenn sonst schwierige Lebensbereiche einmal sonnenbeschienen
da liegen und es an der Zeit wäre, sie zu geniessen. Warum nicht
das Monat des Skorpions einmal dafür nützen, um nach seinen Sonneseiten
Ausschau zu halten? Üben Sie sich doch zur Abwechslung mal in der
Kunst, diese Sonne Pore für Pore genüsslich in sich aufzunehmen.
© Barbara
Hutzl-Ronge / Astrodienst AG 08/2003 |