Volldampf im Schneckenhaus
Kolumne von Barbara Hutzl-Ronge
Wenn ich mich so umschaue, bekomme ich den Eindruck, dass es manche
nun vor Ungeduld demnächst zerreissen wird. Wundern würde es mich
nicht, denn es liegt eine Spannung in der Luft, die greifbar und
zugleich unfassbar ist.
Die Ungeduld kann ich gut verstehen. Solange der Fischemars rückläufig
war, hat sich die versammelte astrologische Gemeinde in Geduld geübt.
Dass während der Monate August und September vieles, was wir gern
getan hätten, zum Stillstand kam und deshalb hinterfragt werden musste,
das war den meisten von uns ja klar. Deswegen war es nicht unbedingt
leichter auszuhalten. "Hi! Du glaubst ja nicht, was mir gestern wieder
passiert ist!", war die Standardbegrüssung meiner Büronachbarin,
einer Fischefrau. Beim obligaten Kaffee gelang es ihr wirklich jeden
Tag, mit nahezu unglaublichen Geschichten mein astrologisches Vorstellungsvermögen
zum Thema rückläufiger Fischemars zu erweitern. Zum Schluss vertröstete
ich sie jedesmal auf Ende September und versprach, ab dann kämen
die Dinge wieder ins Laufen. Langsam, aber doch.
Genau so ist es. Nun kommt wieder Schwung in unsere Angelegenheiten,
aber halt sehr langsam. Für dieselbe Strecke, die Mars sonst in einem
Tag durchläuft, braucht er im Moment dreimal so lange. So schnell,
wie wir normalerweise zu handeln gewohnt sind, so schnell entwickeln
sich die Dinge jetzt noch nicht. Mancherorts hat sich jedoch viel
Handlungsbedarf angestaut. Kein Wunder, dass nun einige loslegen
wollen, als sei der Teufel hinter ihnen her. Ob es uns nun passt
oder nicht, die Angelegenheiten, die wir nun in Gang bringen wollen,
brauchen dennoch mehr Anlaufzeit, als wir angenommen haben. "Das
Gras wächst auch nicht schneller, wenn man daran zieht." Mit diesem
afrikanischen Sprichwort rede ich mir täglich gut zu.
"Es ist, als ob wir alle in einem Schneckenhaus wären; jeder in
seinem", dachte ich mir gestern, "bloss sind dies keine normalen
Schneckenhäuser, sondern völlig ungewöhnliche."
Wir erleben ja alle zwei Jahre eine solche Phase der Marsrückläufigkeit.
Diese Erfahrung ist für uns nichts Neues, ganz im Gegenteil, wir
haben sie alle schon oft erlebt. "Aha, das, was ich will, funktioniert
nicht so, wie ich mir das vorgestellt habe. Nun muss ich nach einer
neuen Lösung suchen." Dass damit oft ein innerer Prozess verbunden
ist, bei dem wir uns zurückziehen, auch das kennen wir alle. Es ist,
als ob wir uns langsam in uns selbst hineinschneckeln, dann innen
ein wenig verweilen, danach schneckeln wir uns wieder heraus. Aussen
angekommen, merken wir, dass sich an unserer Einstellung zur Sache
etwas geändert hat und genau dadurch haben wir die Angelegenheit
selbst verändert.
So sieht ein normales Schneckenhaus aus, solche Schneckenhäuser
kennen wir zur Genüge. Aber diesmal hat uns der rückläufige Mars
nicht in unsere altbekannten ruhigen Schneckenhäuser geführt, sondern
in High Speed-Schneckenhäuser. Als wir nämlich ganz innen drinnen
angekommen waren, dort, wo wir fast keinen Platz mehr finden, um
uns zu bewegen, haben wir nicht Ruhe vorgefunden, sondern dort ist
es diesmal energiegeladen bis zum Gehtnichtmehr. Im Mittelpunkt der
Schnecke hat Uranus auf Mars gewartet und verpasst uns einen explosiven
Energieschub. Ausgerechnet dort, wo der Handlungsspielraum minimal
ist, werden wir mit einer unbändigen Energie zum Handeln aufgeladen.
Im eigenen Schneckenhaus zu sein, fühlt sich im Moment ungeheuer
aufregend an. Uranus schenkt uns nun Erkenntnisse, weil er jeden
von uns mit seiner eigenen Lebendigkeit in Kontakt bringt. Plötzlich
wissen wir, wie sich unsere Handlungen in Zukunft anfühlen müssen,
damit sie zu uns passen. Wir können nun Eigenheiten an uns entdecken,
die neu und überraschend sind. Oft haben wir nicht einmal die Wahl,
ob wir dieses Neue, das sich nun bemerkbar macht, annehmen wollen
oder nicht. Die Ereignisse katapultieren uns kurzerhand in veränderte
Situationen, und schon müssen wir im neuen Stil agieren, weil der
alte untauglich geworden ist.
Angeheizt von unseren neuen Ideen wollen wir mit Volldampf loslegen,
gleichzeitig sitzen wir aber noch immer fast in der Mitte des Schneckenhauses.
Volldampf im Scheckenhaus, wenn das keine explosive Stimmung ist!
Manche Menschen sprengen nun ihr Schneckenhaus, weil sie die Enge
nicht mehr aushalten. Es gibt Situationen, in denen eine solch radikale
Entscheidung und Vorgehensweise die einzig richtige ist.
Anderen widerfährt es, dass jemand von aussen auf ihr Schneckenhaus
klopft, ja vielleicht sogar so fest daraufschlägt, dass sie plötzlich
schutzlos dastehen und ungewollt nach ganz neuen Lösungen suchen
müssen.
Dritte fühlen sich zwar recht kribbelig, aber genauso langsam wie
sie sich mit ihrem Thema hineingeschneckelt haben, möchten sie sich
auch wieder nach aussen schneckeln. Sie haben vermutlich in sich
etwas Neues entdeckt, das noch ziemlich schutzbedürftig ist. Vielleicht
ist es ein Gefühl, das sie ungestört noch gerne ein wenig kennenlernen
wollen, bevor sie es der Aussenwelt präsentieren. Vielleicht ist
es auch eine Idee, ein Projekt, das noch ausgebrütet werden muss.
Ich vermute mal, dass nun jeder ziemlich genau weiss, welche der
drei beschriebenen Situationen für ihn zutrifft. Diejenigen, die
freiwillig schon draussen sind, finden Gleichgesinnte oder aber sie
müssen auf andere warten, die noch unsichtbar am Schneckeln
sind. Die
anderen, die langsam aus ihrem Häuschen rauskrabbeln, wissen
nicht, was sie nach ihrem nächsten Schritt sehen werden. Denn die
Windungen des Schneckenhäuschens lassen nicht erkennen, was sich
hinter der nächsten Biegung befindet. Jene, die durch äussere Ereignisse ihr Schneckenhaus verloren haben,
müssen nun an einer improvisierten Unterkunft basteln, von der aus
sie es erwarten können, bis alle anderen auch aus ihren Häuschen
draussen sind.
Erst nachdem alle aus ihren Häuschen hervorgekommen sind, zeigt
sich, wer mit wem welche neuen Projekte in Angriff nimmt. Spätestens
am 16. Dezember, wenn Mars in den Widder läuft, liegen alle Karten
auf dem Tisch. Dann können alle mit frischer Energie aufbrechen.
© Barbara
Hutzl-Ronge / Astrodienst AG 08/2003 |