Im Dialog
Kolumne von Barbara Hutzl-Ronge
Schon seit einigen Jahren wünsche ich mir, auf eine Segelpartie
mitgenommen zu werden, um dieses Gefühl mit dem Wind unterwegs zu
sein, einmal kennenzulernen. Diesen Sommer, als ich viele meiner
Wochenenden im Haus am See verbrachte, hat es endlich geklappt. Oliver
hatte für seine Kinder zwei winzige Einmannboote mitgebracht und
eines Tages nahm mich meine Freundin Anita an der Hand und sagte: "Komm,
ich bring Dir Segeln bei, am meisten Spass macht’s nämlich, wenn
man es selber kann."
Wir trugen das kleine Boot ins Wasser. Schon mit meiner Wenigkeit
war der Optimist, so heisst das Boot vertrauenserweckenderweise, überladen.
Ich hatte grad genug Platz, um mich quer hineinzusetzen, meine langen
Beine liess ich über die Bootskante hängen. Anita gab mir in die
eine Hand das Ruder und in die andere ein Seil, an dem das Segel
festgemacht war, sagte, "das sind Pinne und Grossschot", quetschte
sich zwischen Schwert und Bordkante und kommandierte: "Los geht’s,
Frau Kapitän!" "Wenn ich Kapitän bin, was bist denn dann Du?" fragte
ich skeptisch. "Die Graue Eminenz", lachte sie und innerhalb von
zwei Stunden hatte sie mir die Grundlagen des Segelns beigebracht.
Ich lernte Kurs zu halten, mit dem Wind und vor dem Wind zu segeln,
zu wenden und zu halsen, erfuhr, wer auf dem viel befahrenen See
Vorrang hatte und schaffte es schlussendlich auch den Segeltörn zu
beenden, indem ich das Bötchen in den Wind stellte. "Jetzt weißt
Du das Wichtigste, den Rest findest Du schon selber heraus", war
der abschliessende Kommentar meiner Lehrerin.
"Hoffentlich gibt es Wind", dachte ich und fuhr auch nächstes Wochenende
wieder - diesmal ohne Anita - an den See. Ja, es gab Wind, ziemlich
viel sogar. Begeistert schleppten wir alles ans Ufer, womit im Wasser
sein einfach mehr Spass macht. "Ist das ein toller Wind" jubelte
Oliver und weg war er. Da stand ich etwas verloren mit dem zweiten
Boot im Wasser, hatte ich doch gehofft, er würde mich bei der Brise
begleiten. Für mich Greenhorn allein schien mir das eindeutig zu
viel Wind zu sein. "Möchtest Du segeln?" fragte ich hoffnungsvoll
Olivers Ältesten. Doch der schnappte sich schon das Surfbrett und
gab mir den beruhigenden Tipp "Weißt Du, so ein Optimist kann zwar
kentern, aber die Dinger gehen niemals unter." Weg war auch er. Die
anderen Jungs waren in eine Wasserschlacht verwickelt, bloss der
Jüngste stand abseits. "Möchtest Du das Boot, Leopold?" "Nein, fahr
doch Du raus, es ist super Wind", sagte der Zehnjährige mit Kennermiene. "Für
mich ist das zu viel Wind, ich war doch erst dreimal Segeln", bekannte
ich. Da blickt Leopold zu mir auf und sagte im Brustton der Überzeugung "Du
schaffst das, Barbara, ganz sicher!"
Tapfer sprach ich meinem bangen Herzen Mut zu, sprang ins Boot,
fing mir den Wind ins Segel und zischte mit der Nussschale hart am
Wind ab. Mit lautem Krachen schlug die Schaluppe auf jede Welle auf,
innerhalb kürzester Zeit hatte ich mich weit vom Ufer entfernt. "Klar
zur Wende!" beschloss ich, und schon hatte ich auf dem See im Affenzahn
einen Haken geschlagen und konnte genüsslich vor dem Wind retour
segeln. Meine Begeisterung war riesengross und wurde auch noch durch
Suzanne und die Kinder am Ufer gestärkt, die bei jeder Wende applaudierten
und Bravo riefen.
Abends im Bett freute ich mich noch immer über diese aufregenden
neuen Erlebnisse, und plötzlich begriff ich, was das wirkliche Neue
an dieser Erfahrung war: Bis anhin kannte ich nur Sportarten, bei
denen die Kraft zur Fortbewegung aus mir selber kommt. Wenn ich jogge,
sind es meine Muskeln, die mich wohin tragen. Beim Skifahren ist
es dasselbe. Auch beim Autofahren ist es nicht grundsätzlich anders.
Dort sind es zwar die Pferdestärken im Motor, die mich und das Auto
vorwärts bringen, aber es liegt ganz in meiner Hand zu bestimmen,
wann und wohin ich das Auto bewegen will. Beim Segeln ist das völlig
anders: Da kommt die Kraft nicht aus mir, sondern sie ist ausserhalb
von mir. Über den Wind kann ich auch nicht bestimmen, er ist entweder
da oder nicht. Und je nachdem, woher er kommt, muss ich mich auf
ihn einstellen, damit ich segeln kann. Für eine Widderfrau wie mich,
die am liebsten Dinge aus eigener Kraft tut, war das eine völlig
neue Erfahrung.
Segeln entspricht als Sportart dem Waageprinzip. Menschen, die im
Sternzeichen der Waage geboren sind, mögen in ihren Aktionen nicht
von sich und ihren Wünschen ausgehen, sondern ihr besonderes Bestreben
ist, den anderen, Ihr Gegenüber immer miteinzubeziehen. Sie fragen
zuerst also "Was willst Du?", bevor sie überlegen, was sie wollen,
denn was sie erreichen wollen, ist das Gefühl des Aufeinanderabstimmens.
Wenn ihr Gegenüber dann seine Meinung ändert, können Waagen nicht
einfach bei dem bleiben, was sie beim ersten Mal nach langem hin
und her als ihren Wunsch definiert haben, sondern sie müssen sich
alles von Neuem überlegen. Der Vorwurf, den sie dann so oft zu hören
bekommen, "Du weißt aber auch nicht, was Du willst!" den können sie
gar nicht verstehen, denn ihr Ziel ist ja nicht, ihren Wunsch durchzusetzen,
sondern - ja genau! - Wünsche aufeinander abzustimmen.
Mir war das Waageprinzip auch vor dem Segeln schon klar gewesen.
Offenbar hatte ich es gut begriffen, denn wenn ich waagebetonten
KlientInnen versuchte, diese ihre innere Gestimmtheit klarzumachen,
dann lehnten sie sich oft ganz erleichtert zurück, weil sie endlich
selber verstanden, warum sie sich z. B. mit Entscheidungen schwer
tun. Gleichzeitig stärkte diese Erkenntnis ihr Selbstwertgefühl,
weil sie nun ihre Eigenheit, sich auf andere überhaupt einstellen
zu können, als Talent erkannten und es schätzen lernen konnten.
Aber wie das halt so ist: Es macht einen Riesenunterschied, ob man
etwas im Kopf versteht oder es wirklich mit dem Körper begreift.
Und beim Segeln hatte ich plötzlich körperlich begriffen, wie das
Waageprinzip funktioniert. Auf einmal konnte ich es den Waagen so
gut nachempfinden, wie sie sich fühlen, wenn jemand anderes seine
Meinung ändert. Auch der Wind auf dem See hatte oft abrupt die Richtung
gewechselt. Das Segel wurde schlaff und während ich versuchte herauszufinden,
wo er jetzt schon wieder herwehte, kam ich manchmal richtig in Stress
bei der Überlegung: "Zieh ich nun am Segel oder gebe ich ihm Raum?
Muss ich die Ruderposition ändern oder meinen Schwerpunkt im Boot
verlagern?"
Beim nächsten Mal auf dem See habe ich das Gefühl, mich dem Wind
anzuvertrauen ganz bewusst genossen, den Dialog mit ihm auch. "Es
ist doch einfach wunderbar, etwas Neues ausprobieren zu dürfen!",
frohlockte die Widdersonne in mir. "Und alles, was du dazu brauchst",
bemerkte mein Waagemond dankbar, "ist - just al little help from
your friends!"
© Barbara
Hutzl-Ronge / Astrodienst AG 08/2003 |