House of the Rising Neptun
Kolumne von Barbara Hutzl-Ronge
In meiner Nachbarschaft steht ein Haus, dessen BewohnerInnen seit
Jahren die Aufmerksamkeit des restlichen Quartiers auf sich ziehen.
Wer im House of the rising Neptun - wie ich es im Stillen für mich
getauft habe - wohnt und bloss kifft, gilt schon fast als Outlaw.
Regelmässig stoned zu sein gehört hier zum guten Ton. Die Methode,
den eigenen Alkoholpegel vom frühen Morgen an aufzubauen und ihn
dann über Stunden konstant zu halten, tut dem hausüblichen Codex
gleichermassen genüge.
Jedem sein Himmelreich, denke ich mir. Meine restlichen Gedanken
behalte ich für mich, denn die will dort sicher niemand hören. Damit übe
ich mich in akustischer Zurückhaltung, ganz im Gegensatz zu eben
diesen Nachbarn. Manchmal rege ich mich grauenhaft darüber auf, wenn
drüben jemand in ohrenbetäubender Lautstärke eine Stunde lang den
richtigen Radiosender sucht. Raschl, knacks, knacks, tuudl, wumm,
und das Sonntagmorgen um sieben. Es dauert nicht lange und entrüstete
NachbarInnen melden sich von allen Seiten lauthals zu Wort, in der
trügerischen Hoffnung, der Übeltäter würde sie hören. Dem ist selten
so. Drogenkonsum bewirkt ein Wahrnehmungsdefizit. Aber die Erkenntnis
bringt mir meinen Schlaf auch nicht zurück.
Immer wieder beschert mir einer aus der freakigen Nachbarschaft
jedoch auch genüssliche Stunden. Gleichgültig was ich gerade tue,
ob ich nun lesend auf meinem Balkon sitze oder den Geschirrspüler
einräume: wenn plötzlich guter Rock durch die Strasse schallt und
sich meine Lieblingsgitarristen unerwartet zu traumhaften Soli aufschwingen,
dann fühle ich mich auf einen Schlag zwanzig Jahre jünger. Ich träume
dann von der Zeit, als ich die Freundin eines Gitarristen war, Stunden
in muffigen Probekellern verbrachte, ihn und seine Band von Konzert
zu Konzert begleitete. Für diese seligen Momente, verzeihe ich meinem
Nachbarn auch, wenn er wieder einmal seine Abbaplatten rauf und runter
spielt.
Fast unglaublich, aber auch House of the Rising Neptun hat einen
Abwart. Die Erfindung des Besens ist allerdings noch nicht bis zu
ihm vorgedrungen. Viel lieber putzt er das Trottoir mit dem Gartenschlauch.
Er steht dann ein, zwei Stunden draussen, richtet den Wasserstrahl
auf jedes Blättlein einzeln, bis er es Minuten später die Gehsteigkante
hinuntergespült hat. Dabei macht er auf mich nicht gerade einen hellwachen
Eindruck. Womit er sich zu oder weg dröhnt, weiss ich nicht, ich
tippe aber auf ziemliche Mengen Alkohol. Dass er dem Gehsteigspritzen
auch bei minus fünfzehn Grad frönt, wie letzten Winter, und dabei
das Trottoir in eines Eislaufbahn verwandelt, stempelt ihn in meinen
Augen endgültig zum Ganzjahresneptunier.
Gross war allerdings mein Erstaunen, als er kürzlich sein Trottoir
verliess, um auch das gegenüberliegende, also das unsere, zu putzen.
Das Thermometer tastete sich schon seit Wochen an die 40 Grad-Grenze
heran, die Bäume verloren langsam die Blätter. "Zeit für den Herbstputz",
dachte er sich wohl. Ich erkannte meine Chance, ging auf ihn zu und
bedankte mich wortreich, dass er unseren Bäumen Wasser gab. "Das
isch aber nöd miini Arbeit", betonte er und setzte dazu eine missmutige
Miene auf. Das wüsste ich doch, sagte ich anteilnahmsvoll und erzählte
ihm, dass ich erst vorgestern vom Dach aus festgestellt hätte, in
welch miserablem Zustand die Bäume mittlerweile waren, und dass ich
daher gestern sechs mal mit der Giesskanne versucht hatte, dem Baum
vor meinem Balkon über die trockenen Zeit zu helfen. Und nun komme
er und bewirke so viel mehr, freute ich mich mit begeisternder Stimme.
Währenddessen wanderte der Strahl langsam mehr in Richtung Baum und
sein Gesicht erhellte sich zunehmend. Ja, das sei ihm auch schon
aufgefallen. Wir sprachen noch eine Zeitlang übers Wetter und waren
uns einig, dass unsere schönen Alleebäume jetzt wirklich etwas Unterstützung
benötigten. Eine Viertelstunde später sah ich ihn vom Balkon aus
wieder den Asphalt abspritzen. Fliessrichtung diretissima in den
Kanal. Aber als ich später ausser Haus ging, war die Erde beim Baum
vor meinem Balkon jedoch auch nass geworden.
Zufrieden stellte ich fest, dass der rückläufige Fischemars doch
auf subtile Art Verhaltensänderungen ermöglicht. Der Hauswart hatte
die Strassenseite gewechselt und ich war zum ersten Mal mit einem "von
drüben" ins Gespräch gekommen. Meine Freundin Britta bezweifelte
jedoch meine astrologisch begründete These. "Das liegt an der Wärme",
schwärmte sie. "Hier ist es ja langsam gleich warm wie in Fidji.
Wenn es warm ist, dann leben die Menschen mehr draussen und dann
kümmern sie sich auch umeinander oder um das, was ihnen gemeinsam
wichtig ist." - "Ja, das ist sicher auch ein Grund", antwortete ich
diplomatisch und dachte mir still: "ja, aber es ist die Löwesonne,
die grad so heiss ist."
Abends sassen wir dann gemeinsam auf dem Dach und bewunderten Mars,
der orangerot vom Himmel und mit dem Mond um die Wette leuchtete.
P.S.: Was das alles mit Neptun zu tun hat, wollen Sie wissen?
Neptun, benannt nach dem griechischen Gott des Meeres, beschert
uns Träume, Visionen, aber auch Illusionen. Er weckt in uns die Sehnsucht
nach grenzenloser Hingabe an etwas, das grösser ist als wir selbst.
Wer ihn stark spürt, kann versuchen diesem Gefühl über die Kunst
Ausdruck zu verleihen, kann z.B. musizieren, malen, tanzen, kann
beten, meditieren oder Trancereisen unternehmen, um dieses Einheitsgefühl
mit dem Grossen, Numinosen zu erreichen.
Wer dieses Gefühl nicht aus eigner Kraft gestalten will, wer glaubt,
diese Sehnsucht nicht durch eigene Tätigkeit stillen zu können, greift
zu Drogen aller Art, um sich schnell in dieses "Jetzt bin ich ein
Teil des grossen Ganzen"-Gefühl zu katapultieren, um abzuspacen in
die Illusion, nun etwas ganz besonderes zu erleben.
© Barbara
Hutzl-Ronge / Astrodienst AG 08/2003 |